Der.Spiegel.2008.46.pdf

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Der Weltpräsident
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DAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN
Hausmitteilung
10. November 2008
Betr.: Titel, Cayman Islands, Eishockey
E s waren bewegende Szenen, die SPIEGEL-Reporter Klaus Brinkbäumer, 41, vo-
rigen Dienstag unter rund 150 000 Menschen im Grant Park in Chicago erlebte:
Barack Obama, 47, gerade zum Präsidenten gewählt, stand auf der riesigen Bühne und
winkte seinen Anhängern zu – und viele, vor allem Afroamerikaner, umarmten sich
und weinten vor Glück. „Sie fühlten sich wie befreit und
waren stolz darauf, dass zum ersten Mal ein Schwarzer
Präsident geworden war“, sagt Brinkbäumer. SPIEGEL-
Korrespondentin Cordula Meyer, 37, beobachtete auf
der Wahlkampfparty des Verlierers John McCain, 72, in
Phoenix, wie die Republikaner die erwartete Nieder-
lage „mit stoischer Ruhe“ hinnahmen, ihr Kollege Marc
Hujer, 40, war beim kalifornischen Gouverneur Arnold
Schwarzenegger, 61, in Beverly Hills zu Gast. Abzuwar-
ten bleibt angesichts der großen Herausforderungen in
der Außen-, Umwelt- und der Finanzpolitik, ob dem
künftigen Präsidenten tatsächlich ein Politikwechsel ge-
lingt. SPIEGEL-Korrespondent Gabor Steingart, 46,
sprach landauf, landab mit Arbeitern und Managern.
„Man darf gespannt sein, welche Wählergruppen Obama
zuerst enttäuschen wird“, sagt Steingart. Im SPIEGEL
kommentieren Künstler aus mehreren Ländern die Wahl.
Zu den Gewinnern der Nacht und des folgenden Tages zählte SPIEGEL ONLINE: Mit
42,5 Millionen Seitenabrufen wurde der vorige Mittwoch, so Online-Chefredakteur
Wolfgang Büchner, 42, „zum erfolgreichsten Tag für uns“ (Seite 122).
Brinkbäumer (in Chicago)
als Heimathafen für jene Piraten in Nadelstreifen, die den Finanzmarkt gerade
an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben. Drei Viertel aller Hedgefonds
residieren in der Hauptstadt George Town, rund zwei Billionen Dollar Kapital
werden dort verwaltet. SPIEGEL-Reporter Alexander Smoltczyk, 49, inspizierte in
den Foyers der Bürotürme die Listen
der vielen tausend Firmen und Fonds,
die dort über Bildschirme laufen, und
entdeckte „jede Menge deutscher
Namen“. Geldinstituten aus der Bun-
desrepublik aber ist es offenbar pein-
lich, dort ertappt zu werden, die Filia-
le der Deutschen Bank etwa war zu
Auskünften nicht bereit. „Unter den
Bankern herrscht eine gewisse Scheu
gegenüber Journalisten vor“, sagt
Smoltczyk (Seite 90).
Smoltczyk, Piraten-Attrappe (in George Town)
Müller, 28, nach einer Krebsoperation in den Leistungssport zurückkehrt, gab das
Anlass zur Hoffnung. SPIEGEL-Redakteurin Cathrin Gilbert, 24, traf Müller, um
über sein Comeback zu schreiben, doch sie spürte bald, dass es um seinen Gesund-
heitszustand nicht gut bestellt ist. Der Sportler offenbarte ihr seine Lage und entband
die behandelnden Ärzte gegenüber Gilbert von der Schweigepflicht. Müller hat einen
Tumor im Stirnhirn, im November 2006 war er ein erstes Mal operiert worden. Obwohl
seine Krankheit als unheilbar gilt, will er wieder zurück aufs Eis. „Wie Müller mit dem
Krebs umgeht, erfordert eine beinahe übermenschliche Kraft“, sagt Gilbert (Seite 112).
Im Internet: www.spiegel.de
der spiegel
46/2008
3
S eit John Grishams Bestseller „Die Firma“ gelten die karibischen Cayman Islands
A ls Anfang September bekannt wurde, dass der Kölner Eishockeytorwart Robert
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In diesem Heft
Titel
Die Last der Erwartung .................................. 122
Triumph der amerikanischen
Bürgerrechtsbewegung ................................... 130
SPIEGEL-Gespräch mit dem britischen
Historiker Niall Ferguson über Barack Obama,
Europas Hoffnungen nach der Wahl und
die Folgen der Wirtschaftskrise ....................... 139
Deutschland
Panorama: Bundesregierung verzögert
Ost-West-Rentenangleichung / Busunglück
durch Brand in Schlafkabine? / Rechtsprobleme
bei EU-Mission gegen Piraten .......................... 15
Außenpolitik: Was Berlin vom neugewählten
US-Präsidenten Barack Obama erwartet .......... 20
Hessen: Andrea Ypsilantis gescheitertes
Experiment hinterlässt eine zerrissene SPD ..... 24
Sozialdemokraten: SPIEGEL-Gespräch mit
SPD-Chef Franz Müntefering über das Hessen-
Debakel und Strategien für das Wahljahr 2009 31
Karrieren: Cem Özdemir will Parteichef der
Grünen werden – ein Mann ohne Eigenschaften 36
Verkehr: Nach dem verschobenen Börsengang
sucht Bahn-Chef Mehdorn einen Ausweg ........ 40
Bayern: SPIEGEL-Gespräch mit dem
neuen Ministerpräsidenten Horst Seehofer über
die Krise der CSU, sein Vorbild Sarkozy
und das Ende des Neoliberalismus ................... 42
Energiewirtschaft: Wie die Atomindustrie
an ihrem eigenen Müll verdient ....................... 45
Affären: Das Psychogramm des Mannes, der
Susanne Klatten erpresste ................................ 46
Parteien: Grüne und Linkspartei suchen
Anhänger im selben Milieu .............................. 51
Steuerhinterziehung: Die Anklage der
Staatsanwaltschaft wirft Ex-Post-Chef
Klaus Zumwinkel kriminelle Energie vor ......... 52
Kriminalität: Suchte der Internet-Mörder
Christian G. Liebe oder Opfer? ........................ 54
Müntefering
Ypsilanti
Hessen-SPD versinkt im Chaos Seiten 24, 31
Nach dem Debakel von Andrea Ypsilanti regieren Hass und Intrigen die hessische
SPD. Im Mittelpunkt stehen jene vier Renegaten, die Ypsilantis Wahl verhinderten.
Parteichef Franz Müntefering rät seinen Genossen, Fehler zu bekennen: „Sie sollten
die Sache ausräumen und dann neu beginnen“, sagt er im SPIEGEL-Gespräch.
Kapitalismus? Seiten 60, 64
Ende der Woche werden die wichtigsten
Staats- und Regierungschefs in Washing-
ton über die Neuordnung der Finanz-
märkte beraten. Die Chancen für echte
Reformen stehen eher schlecht. Fünf
Nobelpreisträger der Wirtschaftswissen-
schaften formulieren derweil exklusiv im
SPIEGEL, wie sie sich die Zukunft vor-
stellen. Und alle sprechen sich für staat-
liche Eingriffe aus.
Wirtschaft
Trends: Wirtschaftsweise rechnen mit
Nullwachstum / Autobanken wollen Staatshilfe /
IG Metall vor Einigung? ................................... 58
Finanzkrise: Die Pläne der Regierungen zur
Neuordnung der globalen Märkte .................... 60
Ökonomen: Fünf Wirtschafts-Nobelpreisträger,
eine Frage – wie muss die
Finanzarchitektur der Zukunft aussehen? ........ 64
Manager: Wie Commerzbank-Chef
Martin Blessing zum Musterschüler
der Bundesregierung avancierte ....................... 70
Spekulanten: Der Hedgefonds-Branche
droht ein Massensterben .................................. 74
Bürokratie: Das bizarre Auslandsreise-
programm deutscher Statistiker ........................ 78
Börsenhändler in New York
Der Frauenflüsterer Seite 46
Sie beaufsichtigt Weltkonzerne, verwaltet ein Milliarden-Vermögen. Warum fiel die
Quandt-Erbin Susanne Klatten trotzdem auf einen Erpresser wie Helg Sgarbi herein?
Aussagen früherer Arbeitskollegen und die Akten der Ermittler zeichnen nun das Bild
eines raffinierten Verführers mit hoher psychologischer Intelligenz.
Medien
Trends: Reporterstar Antonia Rados kehrt
zu RTL zurück / ARD in
der US-Wahlnacht von ZDF abgehängt ............ 81
Fernsehen: Vorschau / Rückblick ................... 82
Investoren: SPIEGEL-Gespräch mit
Permira-Lenker Thomas Krenz über sein Leben
als „Heuschrecke“ und
das Milliarden-Desaster ProSiebenSat.1 ........... 84
beim Augenlasern Seite 156
Fast 100 000 Deutsche ließen sich im vergangenen
Jahr ihre Fehlsichtigkeit mit der Lasik-Methode
weglasern. Auf dem umkämpften Markt werden
die Nebenwirkungen der Operation jedoch oft
heruntergespielt. Dabei sind sie keineswegs harm-
los: dauerhaft trockene Augen etwa, schlechtes
Nachtsehen, Kontrastverlust oder sogar die Auf-
weichung der Hornhaut.
Gesellschaft
Szene: Aggressivität bei Soldatenkindern /
Sachbuch zur weltweiten Überwachung ........... 87
Eine Meldung und ihre Geschichte –
warum ein Schwein wochenlang
eine Rentnerin terrorisierte ................................ 88
Lasik-Operation
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der spiegel
46/2008
Wer bändigt den
Verschwiegene Risiken
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Steueroasen: Wie die karibischen Cayman
Islands ihren Ruf als Finanzplatz pflegen .......... 90
Ortstermin: Die Erkenntnisse eines
Schuldenforschers über
die Deutschen und ihre Moral ........................ 109
Sport
Szene: Sportlerinnen sind anfälliger für
Kreuzbandrisse / Gerangel um den
Box-WM-Kampf Klitschko gegen Gómez ........ 111
Eishockey: Die Rückkehr
des krebskranken Torwarts Robert Müller ...... 112
Obama, Familie
Ausland
Panorama: Vormarsch der Rebellenmilizen
im Kongo / Georgiens Opposition fordert
strenge Auflagen für internationale Hilfsgelder /
Der Chef der Kurdenpartei DTP über die
Gefahr eines Bürgerkriegs in der Türkei ......... 119
Frankreich: Die Sozialisten wollen dem
Image der Verliererpartei entkommen ............ 144
Afghanistan: Ein Air-Force-Bericht belegt
die wachsende Zahl ziviler
Opfer im Krieg gegen den Terror .................... 146
Grönland: Die Eisinsel auf dem Weg
in die Unabhängigkeit ..................................... 150
Global Village: Nigeria sucht sein Topmodel 152
Das Projekt Obama Seiten 20, 122, 174
Ein globaler Freudentaumel begrüßte den neuen Präsidenten der USA und begrub
ihn unter einer Flut hochgesteckter Erwartungen. Seine Landsleute sehnen den Kurs-
wechsel der Supermacht ebenso herbei wie Regierungen in aller Welt, die auf bessere
Zusammenarbeit hoffen. Berlin entwickelt bereits Konzepte für eine neue Außen-
politik, die das ramponierte Verhältnis zu den USA verbessern soll. Künstler und In-
tellektuelle, darunter der „Rolling Stone“-Herausgeber Jann Wenner und der Dich-
ter Peter Handke, beschreiben im SPIEGEL ihre Hoffnungen für die Zukunft.
Wissenschaft · Technik
Prisma: Antigebrechlichkeitspille für Alte /
Wie sieht das Auto der Zukunft aus? .............. 154
Medizin: Riskanter Eingriff
mit dem Augenlaser ........................................ 156
Naturschutz: Vormarsch der Plastikpfropfen
bedroht die einzigartigen
Korkeichenwälder am Mittelmeer ................... 162
Katastrophen: Die Niederländer proben
ihren Untergang .............................................. 168
Elektronik: Filmprojektoren für
die Jackentasche ............................................. 170
Tödlicher Internet-Flirt Seite 54
Ein 27-jähriger Hamburger ist angeklagt, innerhalb weniger Tage zwei Frauen
ermordet zu haben, die er beim Chatten im Internet kennengelernt hatte. In der
virtuellen Welt gerierte er sich als verständnisvoller Schmusebär, in Wahrheit aber,
so die Ermittler, war er wohl auf der Suche nach geeigneten Opfern.
Kultur
Szene: John le Carrés neuer Thriller /
Ausstellung mit spektakulären Farbfotos
aus dem Ersten Weltkrieg ............................... 172
US-Wahl: Amerikanische und europäische
Künstler und Intellektuelle äußern sich zur
historischen Präsidentschaftswahl Obamas ..... 174
Kino: Caroline Links langerwarteter Film
„Im Winter ein Jahr“ ...................................... 180
Schriftsteller: SPIEGEL-Gespräch mit dem
russischen Bestsellerautor Boris Akunin über
seine Sympathie für den inhaftierten
Michail Chodorkowski, den Georgien-Krieg
und seine Krimis ............................................. 182
Bestseller ...................................................... 186
Essay: Die Autorin Cora Stephan über die
Denkverbote in unserer Debattenkultur ......... 190
Nahaufnahme: In einem Moskauer
Theater üben die Zuschauer
auf der Bühne Demokratie ein ....................... 194
Müllers Kampf gegen
Müller
den Krebs Seite 112
Vor zwei Jahren wurde dem Eishockey-
Nationaltorwart Robert Müller ein Teil
eines bösartigen Tumors aus dem Kopf
entfernt. Er kehrte trotzdem zurück aufs
Eis und führte schließlich die Kölner
Haie bis ins Finale um die deutsche Meis-
terschaft. Nach einer zweiten Operation
im Sommer hat er nun wieder mit dem
Training begonnen, obwohl sein Krebs
als unheilbar gilt. „Ende November will
ich wieder spielen“, sagt Müller.
Briefe ................................................................ 6
Impressum, Leserservice ............................ 196
Register ......................................................... 198
Personalien ................................................... 200
Hohlspiegel /Rückspiegel ........................... 202
Titelbild: Foto Barry Gutierrez/LAIF
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Briefe
„Erschreckend, zu was Menschen fähig sind,
die vollkommen in ihrer irrsinnigen Ideologie
gefangen sind. Dass ein Mensch wie der
Massenmörder Himmler ein solches Maß an
Rücksichtslosigkeit aufbringen konnte und
es schaffte, jedwede Form von Mitgefühl in
sich zu verdrängen, lässt einen schaudern.“
Da hat sich wohl die Rassenkunde am Ge-
schichtsjournalismus gerächt.
Stockholm
Joakim Braun
Himmler hat doch nichts „Eigenständiges“
geleistet – den Nährboden für den Rassismus
legte Goebbels mit seiner Propaganda, die
„Endlösung“ hat Heydrich geplant und teil-
weise organisiert. Als Frühstücksdirektor
würde ich Himmler nicht bezeichnen, aber
Architekt des Ganzen war er nun auch nicht.
Halle (Saale)
Andree Barthel
SPIEGEL ONLINE Forum
SPIEGEL-Titel 45/2008
Christofer Grass aus Freiburg im Breisgau zum Titel „Hitlers Vollstrecker –
SS-Chef Heinrich Himmler: Aus dem Leben eines Massenmörders“
Sie vergleichen die Physiognomie „klein-
städtischer Bankangestellter“ mit jener
Heinrich Himmlers. Durch dieses Klischee
kann sich der Leser jetzt also ein besseres
Bild vom Massenmörder machen.
Dettmannsdorf (Meckl.-Vorp.) Ernst Pfeiffer
Letztlich unerklärliches Handeln
Nr. 45/2008, Titel: Hitlers Vollstrecker – SS-Chef Hein-
rich Himmler: Aus dem Leben eines Massenmörders
Vater stand, wurde in all seiner Brutalität
von seinem Vasallen Reinhard Heydrich,
Chef des SD, um vieles übertroffen.
Bullay (Rhld.-Pf.)
Franz Piacenza
Der Titel geht zu wenig auf die merkwürdi-
ge Diskrepanz zwischen Himmlers Persön-
lichkeit und der von ihm geschaffenen SS,
dem „Orden unter dem Hakenkreuz“, ein.
Die SS war in Deutschland respektiert bis
gefürchtet und bei den Feinden verhasst.
Himmler als Person wurde von der Mehr-
heit der Deutschen aber belächelt und ab-
schätzig als „Reichsheini“ bezeichnet.
Selbst viele SS-Männer verspotteten ihn we-
gen seiner plumpen Gestalt und seines ge-
ringen Intellekts. Der Ausspruch „Himmlers
Hirn heißt Heydrich“ war weitverbreitet.
München
Wie bei allen SPIEGEL-Titeln zum Na-
tionalsozialismus erfährt man noch viel
Neues. Nach der Lektüre bleibt allerdings
jenes mulmige Gefühl, das sich immer
breitmacht, wenn das Augenmerk auf ei-
nen solchen Massenmörder gelenkt wird.
Dass unzählige „Volksgenossen“ notwen-
dig waren, damit einer wie Himmler seine
Phantasien in die Tat umsetzen konnte,
gerät dabei nur allzu leicht in Vergessen-
heit.
Lemgo (Nrdrh.-Westf.)
Ergänzend könnte man Erich Fromm mit sei-
nem Psychogramm „Heinrich Himmler, ein
klinischer Fall des anal-hortenden Sadismus“,
zitieren: „Er musste die absolute Macht an
sich reißen, um sein Gefühl der Schwäche
und vitalen Impotenz zu überwinden.“
Saalfeld/Saale (Thür.)
Reinhard Kacholdt
Uwe Tünnermann
Karlheinz Wolf
Dass Himmler ein schlimmer Realisator von
Hitlers Anordnungen war, das ist hinrei-
chend bekannt. Jedoch wenn wir von den
grausamsten Massenmördern sprechen,
dann sind bei mir die Namen Josef Stalin
und Mao noch viel präsenter. Auch die Art
und Weise, wie die beiden an die Aus-
führung ihrer Liquidationen gingen, zeugt
von absoluter Brutalität und lässt jegliches
menschliches Mitgefühl vermissen.
Bülach (Schweiz)
Ghetto-Besucher Himmler (in Lodz, 1941)
„Himmlers Hirn heißt Heydrich“
Zur Frage, warum ein katholisch anständig
erzogener Sohn eines Münchner Gymna-
sialdirektors seinen Idealismus dareinsetzt,
möglichst zügig das Volk der „Jesuskreuzi-
ger“ auszurotten, weisen Sie nur auf „das
Dunkle im Menschen Himmler“ hin. Dass
der Bub aus sehr religiöser Familie stamm-
te und noch beim Abitur tiefgläubig war,
dass außer Himmler auch der Thulebund
(1918), die DAP (1919), NSDAP (1920), SA
(1921) und die SS (1925) Produkte des Kru-
zifix- und Passionsspiellandes Bayern waren
– für Sie hat all dieses mit der Dunkel-Mun-
kel-Psyche des Judenhassers nichts zu tun.
Dabei hätte der Extremfall Himmler par ex-
cellence erkennen lassen können, wie der in
19 Jahrhunderten aufgebaute christliche Ju-
denhass in Auschwitz kulminierte.
Pfaffenhofen (Bayern)
Dr. Konrad Riggenmann
Ernst Meier
Sie schreiben, Himmler sei „nur“ 1,74 Me-
ter groß gewesen, „kränklich“, wässrigen
Blickes und fliehenden Kinnes; Röhm sei
klein und dick gewesen. Es gab Millionen
Nazis. Sie waren fett, fit, hässlich, schön,
hochgewachsen, kurz, blond, dunkel, gut-
gebaut, schwach – Menschen eben. Wer
sich dieser Einsicht verweigert, begreift die
Geschichte nicht. Himmler durch Hervor-
hebung körperlicher Unzulänglichkeiten
lächerlich machen zu wollen – was soll das?
Die umfangreiche Himmler-Biografie bie-
tet sicherlich eine Fülle von Erklärungen
für die Entwicklung dieser Nazi-Größe
vom verklemmtem Sonderling zum größ-
ten Massenmörder aller Zeiten. Besonders
die Hauptfaktoren in Himmlers Charakter
hat Longerich gut herausgearbeitet: Bin-
dungsschwäche, Machtinstinkt und eine
ungewöhnliche Flexibilität. Trotzdem
bleibt der Umschlag von einer gescheiter-
ten Existenz aus bürgerlichem Hause zu
extremer Radikalität und Brutalität in sei-
nem Handeln letztlich unerklärlich. So
kommen wir wohl über die „Banalität des
Bösen“ oder „die Dialektik der Auf-
klärung“ als letzte Erklärungsversuche
nicht hinaus.
Gelsenkirchen
Norbert Jackisch
Diskutieren Sie auf SPIEGEL ONLINE
• Titel Kann Obama der Erwartung als Weltenretter
gerecht werden?
www.spiegel.de/forum/PraesidentObama
• SPD Die Abweichler in der Hessen-SPD – vier Aufrechte
oder vier Verräter? www.spiegel.de/forum/Hessen
• Augenlaser Werden die Risiken verschwiegen?
www.spiegel.de/forum/Augenlaser
Der „schwache“ Himmler, der in starkem
Konflikt zu seinem autoritären kaisertreu-
en, aber keineswegs nationalsozialistischen
6
der spiegel
46/2008
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Zgłoś jeśli naruszono regulamin