Armstrong, Kelley - Die dunklen Machte 01 - Schattenstunde.pdf

(1426 KB) Pobierz
Armstrong, Kelley - Die dunklen Machte 01 - Schattenstunde
1
716257444.001.png
Kelley Armstrong
DIE DUNKLEN MÄCHTE:
SCHATTENSTUNDE
Roman
Aus dem Englischen von Christine Gaspard
2
716257444.002.png
Zwölf Jahre zuvor …
Mommy hatte vergessen, die neue Babysitterin über den
Keller aufzuklären.
Chloe schwankte auf der obersten Stufe, die runden Händ-
chen ausgestreckt, um beide Geländerstangen packen zu
können. Ihre Arme zitterten so sehr, dass sie sich kaum
halten konnte. Die Beine zitterten ebenfalls, so sehr, dass
die Scooby-Doo-Köpfe auf ihren Hausschuhen nickten.
Und ihr Atem kam in Stößen, als sei sie gerannt.
»Chloe?« Emilys Stimme trieb gedämpft aus dem dunklen
Keller herauf. »Deine Mom hat gesagt, die Cola ist im
Kühlraum, aber ich finde sie nicht. Kannst du runterkom-
men und mir helfen?«
Mommy hatte gesagt, sie hätte Emily das mit dem Keller
erzählt. Da war Chloe sich sicher. Sie schloss die Augen
und dachte angestrengt nach. Bevor Mommy und Daddy zu
der Party gegangen waren, hatte sie im Fernsehzimmer ge-
spielt. Mommy hatte gerufen, und Chloe war in den Vor-
raum hinausgerannt, wo Mommy sie auf die Arme genom-
men und gelacht hatte, als Chloes Puppe ihr dabei fast ein
Auge ausstach.
»Ah, du spielst mit Prinzessin, ich meine mit Piratin Jas-
mine. Hat sie Aladin schon vor dem bösen Flaschengeist
gerettet?«
Chloe schüttelte den Kopf und flüsterte dann: »Hast du
Emily das mit dem Keller gesagt?«
»Ja, und zwar ganz deutlich. Kein Keller für Miss Chloe.
Die Tür da bleibt zu.« Als Daddy um die Ecke kam, sagte
sie zu ihm: »Wir müssen das mit dem Umzug wirklich mal
in die Wege leiten, Steve.«
»In dem Moment, in dem du was sagst, rufe ich sofort den
Makler an.« Daddy zerzauste Chloe das Haar: »Sei nett zu
Emily, Schätzchen.«
Und dann waren sie fort.
3
»Chloe, ich weiß, dass du mich hörst!«, schrie Emily.
Chloe nahm die Hände vom Geländer und presste sie auf
die Ohren.
»Chloe!«
»Ich k-kann nicht in den Keller«, rief sie zurück. »Ich d-
darf nicht!«
»Na ja, im Moment habe ich hier das Sagen, und ich sage,
du darfst. Du bist ein großes Mädchen.«
Chloe zwang ihre Füße dazu, eine Stufe hinunterzusteigen.
Hinten in der Kehle tat es weh, und alles sah verschwom-
men aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
»Chloe Saunders, du hast noch fünf Sekunden, dann hole
ich dich hier runter und schließe die Tür ab.«
Chloe stürzte so schnell die Treppe hinunter, dass sie über
ihre eigenen Füße stolperte und ungeschickt auf dem Trep-
penabsatz landete. Dort lag sie, ihr Knöchel pochte, und
Tränen brannten in ihren Augen, als sie in den Keller
hinunterstarrte mit seinen Geräuschen und Gerüchen und
Schatten. Und mit Mrs. Hobb.
Es waren noch andere Leute da gewesen, bevor Mrs. Hobb
sie verscheucht hatte. Wie die alte Mrs. Miller, die mit
Chloe Verstecken gespielt und sie Mary genannt hatte. Und
Mr. Drake, der merkwürdige Fragen stellte, zum Beispiel,
ob schon jemand auf dem Mond lebte. Meistens konnte
Chloe seine Fragen nicht beantworten, aber er lächelte
trotzdem und sagte, sie sei ein nettes Mädchen.
Früher war sie gern hier heruntergekommen und hatte mit
den Leuten geredet. Sie durfte nur nicht hinter den Ofen
sehen, wo ein Mann mit einem Gesicht, das ganz violett
und aufgedunsen war, von der Decke hing. Er sagte nie
etwas, aber allein ihn dort hängen zu sehen verursachte
Chloe Bauchschmerzen.
»Chloe?«, rief Emilys gedämpfte Stimme. »Kommst du
jetzt endlich?«
4
Mommy würde sagen: »Denk an die guten Sachen, nicht an
die schlechten.« Als Chloe die letzten drei Stufen hinunter-
stieg, dachte sie an Mrs. Miller und Mr. Drake und ganz
und gar nicht an Mrs. Hobb … oder jedenfalls nicht sehr.
Am Fuß der Treppe spähte sie in die fast vollständige Dun-
kelheit. Nur die Nachtlichter waren an, die Mommy überall
angebracht hatte, als Chloe nicht mehr in den Keller hatte
gehen wollen und Mommy geglaubt hatte, sie habe Angst
vor der Dunkelheit. Was zutraf, aber nur ein bisschen und
nur deshalb, weil Mrs. Hobb sich in der Dunkelheit an sie
heranschleichen konnte.
Jetzt konnte Chloe aber die Tür des Kühlraums sehen, hielt
ihren Blick also fest auf sie gerichtet und lief so schnell sie
konnte auf sie zu. Als sich etwas bewegte, vergaß sie, dass
sie nicht hinsehen durfte. Es war aber nur der hängende
Mann, und sie sah auch nichts weiter als seine Hand, die
ganz kurz hinter dem Ofen sichtbar wurde, als er schwank-
te.
Chloe rannte zur Kühlraumtür und riss sie auf. Im Inneren
war es pechschwarz.
»Chloe?«, rief Emily aus der Dunkelheit.
Chloe ballte die Fäuste. Jetzt wurde Emily wirklich gemein.
Sich zu verstecken und …
Rasche Schritte über ihrem Kopf. Mommy? Schon wieder
zu Hause?
»Jetzt komm schon, Chloe. Du hast doch wohl keine Angst
im Dunkeln, oder?« Emily lachte. »Wahrscheinlich bist du
doch noch ein Baby.«
Chloe verzog finster das Gesicht. Emily hatte keine Ah-
nung. Sie war einfach bloß ein dummes, gemeines Mäd-
chen. Chloe würde ihr eine Cola holen und dann ins Erdge-
schoss hinaufrennen und Mommy alles erzählen. Und dann
würde Emily nie wieder auf sie aufpassen dürfen.
Sie beugte sich in den winzigen Raum hinein und versuchte
sich zu erinnern, wo Mommy die Cola aufbewahrte. Da
5
Zgłoś jeśli naruszono regulamin