der spiegel maj 2008 - die Welt muss uns helfen.pdf

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"Die Welt muss uns helfen"
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DAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN
Hausmitteilung
10. Mai 2008
Betr.: Dalai Lama, SPIEGEL-Serie, Erziehung
O ft schon hat SPIEGEL-Reporter Erich Follath, 59, den 14. Dalai Lama getroffen,
allein viermal in diesem Jahr. Noch nie hat er das Oberhaupt der Tibeter „so
nachdenklich und so ernst“ erlebt wie am Dienstag vor Pfingsten. Im nordindischen
Dharamsala, am Sitz der tibetischen Exilregierung, sprach der Dalai Lama mit Follath
und SPIEGEL-Korrespondentin Padma Rao, 48, über den Volksaufstand in seiner Hei-
mat und den Vorwurf der chinesischen
Regierung, er habe den Konflikt ge-
schürt. Deutlich grenzte sich der Frie-
densnobelpreisträger von gewaltberei-
ten Landsleuten ab, er sei der Gewalt-
losigkeit verpflichtet, sei es sein ganzes
Leben und werde es „für immer sein“.
Angesichts der „schlimmen Lage“ in
Tibet schien der sonst so geduldige
Buddhist einen Moment lang die Be-
herrschung zu verlieren. Als Follath ihn
einmal unterbrach, reagierte er schein-
bar unwirsch: Die Chinesen komman-
dierten ihn sonst immer nach Belieben herum, und das wolle er nun auch einmal
tun – und zwar mit dem SPIEGEL-Mann. Unbeirrt setzte er das Gespräch lächelnd fort.
„Der Dalai Lama leidet an dem, was die Chinesen in Tibet tun, er sieht das Land an
einer Wegscheide“, sagt Follath (Seite 112).
Rao, Dalai Lama, Follath
zwischen dem vorpommerschen Anklam und Bad Hindelang im Allgäu unter-
wegs, um an einem guten Dutzend Orten der Befindlichkeit der deutschen Demo-
kratie nachzuspüren. Immerhin: Bei ihren Recherchen zum zweiten Teil der neuen
SPIEGEL-Serie über die Zukunft der Demokratie leugnete niemand ihren Anfangs-
verdacht, dass politische Apathie Raum greife. „Hab schon verstanden. Kommen Sie
sofort vorbei“, beschied etwa Marlis Schünemann, Stadträtin in Haldensleben, die
Reporter; sie engagiert sich in einem Wahlkreis, der wegen einer Wahlbeteiligung von
nur 68,7 Prozent bei der vorigen Bundestagswahl als der müdeste in Deutschland gilt.
Schwennickes Befund: Tatsächlich gebe es „überall bedenkliche Ausfransungs-
erscheinungen“ (Seite 56).
pädagogischen Fragen, aber manchmal hat es den
Anschein, als falle die Kindererziehung ihnen heut-
zutage schwerer als je zuvor. Wo die Grenze ziehen
zwischen Konsequenz und unnötiger Strenge? Und
wie die Metamorphose eines niedlichen Babys zum
hauseigenen Tyrannen verhindern? SPIEGEL-Redak-
teurin Elke Schmitter, 47, suchte hin und wieder Rat,
wenn sie ihren jetzt fünfjährigen Sohn Vincent zu
erziehen versuchte – zumal sie sich als ausgeprägter
Stimmungsmensch „keineswegs für eine geborene
Erzieherin“ hält. Schmitter erzählt den SPIEGEL-Lesern, von welchen drei Büchern sie
profitiert hat. Dass das „leider unwiederholbare Experiment der Erziehung“ im Hause
Schmitter auch in der Vergangenheit funktioniert hat, misst sie indes zwei Faktoren zu:
dem Vater des Kindes, der „Engagement und natürliche Autorität“ in die Waagschale
werfe, und einem „wirklich phantastischen Berliner Kinderladen“, der dafür sorge,
„dass aus Prinzen und Prinzessinnen gute Kameraden werden“ (Seite 174).
Vincent, Elke Schmitter
Im Internet: www.spiegel.de
der spiegel
20/2008
7
M ehrere Wochen lang waren Dirk Kurbjuweit, 45, und Christoph Schwennicke, 42,
S eit Menschengedenken plagen sich Eltern mit
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In diesem Heft
Titel
Gespräche unter Feinden – im Kampf
um Tibet stecken die Chinesen
und der Dalai Lama ihre Positionen ab ................ 112
SPIEGEL-Gespräch mit dem Oberhaupt der
Tibeter über den Aufstand in seiner Heimat und
seine Vorschläge für einen Ausgleich mit China ... 120
Klare Steueralternativen für die Wähler Seite 24
Die CSU ist vorgeprescht, nun
wollen sich auch CDU und SPD
Gedanken machen über ein
steuerpolitisches Konzept für
den Bundestagswahlkampf. Die
CDU will sich ihrer Schwester-
partei anschließen und niedri-
gere Steuern versprechen. Die
SPD dagegen setzt auf Etat-
sanierung. Spielräume sollen
vorrangig für Zukunftsinvesti-
tionen genutzt werden. Dem
Wähler bieten die Parteien da-
mit eine klare Alternative.
Deutschland
Panorama: Harsche Oppositionskritik
an Spezialeinheit KSK / Dem BND drohen weitere
Schmerzensgeldzahlungen / Todesfälle nach
Energydrinks ......................................................... 19
Steuern: Nach dem Vorstoß der CSU arbeiten
auch CDU und SPD an einem Steuerkonzept ....... 24
Familienpolitik: Ursula von der Leyen setzt
auf die Kinderreichen ............................................ 29
Außenpolitik: Die Blockade in der
Großen Koalition schwächt den weltweiten
Einfluss Deutschlands ........................................... 30
Karlsruhe klärt die Spielregeln für
Bundeswehreinsätze .............................................. 34
SPD: Kurt Beck und Frank-Walter Steinmeier
gehen eine Notgemeinschaft ein ........................... 36
Computer: Die Hacker vom Chaos Computer
Club als oberste Datenschützer der Republik ........ 40
Thüringen: Regierungschef Dieter Althaus
droht der Machtverlust .......................................... 42
Gesundheit: Zur Fußball-EM warnen Experten
vor einer Masernepidemie .................................... 44
Strafvollzug: Neue Selbstmordserie in
deutschen Gefängnissen ........................................ 45
Religion: SPIEGEL-Gespräch mit Bischof
Wolfgang Huber über Fundamentalismus,
die Legitimation von Gewalt und die Vorzüge
der Trennung von Kirche und Staat ...................... 46
Verbrechen: Ein Zwölfjähriger vergewaltigte
die Kinder einer Tagesstätte in München .............. 50
Luftverkehr: Brandenburgs Innenminister will
seine Polizei mit Tragschraubern ausrüsten ........... 54
Merkel, Steinbrück
Berliner Blockade Seite 30
Mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan oder weniger? Größere Nähe zu Russland
oder Distanz? In zentralen außenpolitischen Fragen ist die Regierung gespalten, die
Blockade in der Koalition mindert das internationale Gewicht des Landes.
Was hilft gegen Verkehrsrowdys?
Seite 150
Bundesverkehrsminister Wolfgang
Tiefensee (SPD) will Raser und Al-
koholsünder am Steuer mit deutlich
höheren Bußgeldern abschrecken.
Doch Verkehrspsychologen bezwei-
feln, dass sich die Straßen so be-
frieden lassen. Härtere Strafen, so
die Experten, verpuffen nahezu wir-
kungslos.
Serie
Die Zukunft der Demokratie (II):
Die Gefährdung der Demokratie in Deutschland ... 56
Gesellschaft
Szene: Die Kulturgeschichte des deutschen
Schlagers / Autodesign für alte Menschen ............. 67
Eine Meldung und ihre Geschichte – warum
sieben spanische Hausfrauen mit
Aktfotos für mehr Bildung warben ....................... 68
Menschenrechte: Wie die Unesco der ganzen
Welt Kultur und Bildung bringen will ................... 70
Ortstermin: Eva Herman präsentiert ihr
neues Buch ........................................................... 78
Verkehrskontrolle
Kinderstube Internet
Seite 100
Jugendliche wachsen heute ganz
selbstverständlich mit Compu-
tern und Internet auf. In belieb-
ten Online-Netzwerken wie Schü-
lerVZ basteln sich Kinder heute
virtuelle Identitäten zurecht und
gehen auf die Suche nach Freun-
den und Anerkennung. Doch im
Netz lauern auch neue Gefah-
ren: Lästereien und Mobbing-At-
tacken verbreiten sich dort viel
schneller als auf dem Schulhof.
Pädagogen und Jugendschützer
sind alarmiert.
Wirtschaft
Trends: Ermittler rügen Porsche-Chef / Höhere
Windenergie-Förderung bringt wenig / Turbulenz
im Lufthansa-Aufsichtsrat ...................................... 81
Geld: Agraraktien als Börsenstars / Steuer-
probleme bei britischen Lebensversicherungen ..... 83
Globalisierung: Den ersten Billigproduzenten
wird China zu teuer .............................................. 84
Bürokratie: Mit rigiden Regeln will die EU
Europas Verbraucher umerziehen ......................... 88
Finanzmärkte: Ausgerechnet IWF und
Weltbank drohen von der Globalisierung
überrollt zu werden ............................................... 90
Investoren: Wie der Firmenjäger Peter Löw
zu seinem Vermögen kam ..................................... 94
Arbeitsmarkt: Warum Suhl die niedrigste
Arbeitslosenquote in Ostdeutschland hat .............. 96
Jugendliche Computernutzerinnen
10
der spiegel
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Medien
Trends: Unmut über Anne Wills Demontage /
Chance für neuen Kurs bei Random House .......... 98
Fernsehen: Vorschau / Rückblick ........................ 99
Internet: Jugendliche lieben Netz-Communitys
– zum Schrecken von Lehrern und Eltern ........... 100
Zyklonschäden im Irrawaddy-Delta
AFP
Ausland
Panorama: Israels Premier in der Bestechungs-
falle / Selbstmordwelle bei US-Veteranen
des Irak-Kriegs / Saddam Husseins bizarre
Gefängnisaufzeichnungen .................................... 105
Burma: Die Todesflut nach dem Sturm ............... 108
USA: Abschied von den Clintons ......................... 126
Belgien: Brüssels vergessenes Öko-Haus ............ 130
Brasilien: SPIEGEL-Gespräch mit Präsident
Lula da Silva über den Kampf gegen den
Klimawandel und Europas Angst vor einem
Linksrutsch in Lateinamerika .............................. 132
Global Village: Die Wut der Bauern von
Bangladesch ........................................................ 135
Die burmesische Tragödie Seite 108
Die schwerste Naturkatastrophe seit dem Tsunami 2004 traf ausgerechnet Burma, wo
despotische Militärs regieren. Obwohl der Wirbelsturm „Nargis“ dort wütete „wie beim
Weltuntergang“, erschwert die Junta fremde Hilfe – aus Misstrauen gegen den Westen.
Sport
Szene: DOSB will Stasi-Überprüfungen für
Funktionäre / Fans und Spieler gegen Manchester-
City-Eigentümer Thaksin Shinawatra ................... 137
Fußball: SPIEGEL-Gespräch mit dem Torhüter
Oliver Kahn über sein Karriereende .................... 138
Olympia: Wie China die Ankunft der
Fackel feiert ......................................................... 142
Hillary verliert gegen Obama
Seite 126
Wissenschaft · Technik
Prisma: Prinz Charles baut Öko-Kommune /
Wunderpille gegen den Herztod? ........................ 147
Verkehr: Warum höhere Bußgelder
wirkungslos sind .................................................. 150
Internet: Teilchenforscher knüpfen das
Datennetz der Zukunft ........................................ 152
Psychologie: Nervenschonende Therapie
gegen Spinnenangst ............................................. 154
Sozialforschung: SPIEGEL-Gespräch
mit dem Experimental-Ökonomen
Simon Gächter über den Ursprung von
Gemeinsinn und Schmarotzertum ....................... 156
Ein schaler Sieg in Indiana, eine schwere
Niederlage gegen Barack Obama in North
Carolina: Eigentlich ist es an der Zeit, dass
Hillary Clinton aufgibt, aber offenbar will
sie den Kampf fortsetzen. Amerika erlebt
das Ende der Ära Clinton – während Oba-
ma nun mit der Nominierung zum Kandi-
daten der Demokraten rechnen darf.
Ehepaar Obama
Kahn
Kahns Martyrium Seite 138
Nach 20 Jahren als Fußball-Profi bestreitet Bayern Mün-
chens Torwart Oliver Kahn am kommenden Samstag sein
letztes Bundesligaspiel. Im SPIEGEL-Gespräch erzählt er
aus dem Innenleben einer wechselvollen Karriere: „Die Er-
kenntnis, dass Fußball kein Martyrium ist, sondern ein Spiel,
das Spaß macht, hat bei mir länger gebraucht.“
Kultur
Szene: Der US-Bildhauer Richard Serra über
seine monumentale Stahl-Installation im Pariser
Grand Palais / Reggae-Sänger Shaggys karibischer
Song zur Fußball-Europameisterschaft ................. 161
Archäologie: Die abenteuerliche Geschichte
des wahren Indiana Jones .................................... 164
Kino: Das Filmfestival von Cannes würdigt
das Erbe von 1968 ................................................ 168
Schauspieler: Eine neue Biografie erzählt die
Lebensgeschichte der TV-Legende Götz George ... 172
Pädagogik: Verunsicherte Eltern und ihre
kleinen Tyrannen ................................................. 174
Bestseller ........................................................... 178
Literatur: In ihrem Erfolgsroman „Die Eleganz
des Igels“ beschreibt die Französin Muriel Barbery
die Pariser Großbourgeoisie aus der Sicht
einer gebildeten Concierge .................................. 180
Nahaufnahme: Der Schauspieler
Jan Josef Liefers verkörpert den ersten deutschen
Fernsehkoch Clemens Wilmenrod ....................... 182
Der echte Indiana Jones Seite 164
Auf verblüffende Weise verwebt Steven Spielberg im
neuen „Indiana Jones“-Film esoterische Mythen und
archäologische Tatsachen. Sogar für den Abenteuer-
helden gibt es ein historisches Vorbild – einen skurri-
len US-Forscher, der einst das Inka-Reich erkundete.
Briefe .................................................................... 12
Impressum, Leserservice ................................ 184
Register ............................................................. 186
Personalien ........................................................ 188
Hohlspiegel /Rückspiegel ................................ 190
Titelbild: Fotos ZUMA Press / Action Press, B. Joshi / AP
US-Archäologe Hiram Bingham in Peru (1912)
11
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Briefe
„Es ist Empathie, die uns Menschen
von den Tieren unterscheidet.
Dem Täter fehlt offenbar genau dieses
Mitleid. Ob uns das jetzt wissen-
schaftlich als krank erklärt werden
kann oder nicht, ist völlig egal.
Er ist unmenschlich und gehört bestraft.“
oder können Sie wirklich ausschließen, dass
dieser abartig veranlagte Mann nicht in je-
dem europäischen Land mit freiheitlicher
Grundordnung und Rechtsstaatlichkeit Ver-
gleichbares hätte durchführen und auch die
betreffenden Behörden täuschen können?
Spätestens jetzt sind alle Länder aufgefor-
dert, Behörden effizienter miteinander zu
vernetzen, wo immer dies notwendig ist.
Zudem ist jeder Einzelne mit seiner Wach-
samkeit und Zivilcourage gefragt, auch bei
uns in Deutschland.
Hannover
Antje Rowe aus Aalen in Baden-Württemberg zum Titel
„Das Böse nebenan – Wenn Menschen unmenschlich werden:
Das monströse Doppelleben des Josef Fritzl“
Dr. Wilhelm Adam
SPIEGEL-Titel 19/2008
Warum gibt es denn ein Inzest-Tabu in wohl
allen höher entwickelten Gesellschaften?
Richtig, weil Inzest vorkommt, vielleicht ir-
gendwann früher sogar Normalität war. Es
handelt sich vielleicht um so etwas wie
einen Atavismus, einen Rückfall in ein ent-
wicklungsgeschichtlich früheres Stadium
sozialer Entwicklung. Die kulturelle und
ethische Leistung besteht jedenfalls im Ein-
halten gegenwärtiger Regeln. Unsere auch
verinnerlichten gesellschaftlichen Normen
belohnen erwünschtes und bestrafen un-
erwünschtes Verhalten. Sie müssen jedoch
im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung er-
worben und gefestigt werden. Dass dies
allen Menschen jederzeit konfliktfrei ge-
lingt, ist wohl eher Wunschbild als Realität.
Herr Fritzl ist natürlich trotzdem für sein
Tun verantwortlich. Der freie Wille besteht
ja in der Möglichkeit der Selbstdistanz und
einer anderen Entscheidung. Letzteres ist
wahrscheinlich allerdings keine einfache
Tatsachenbehauptung, sondern ein Glau-
benssatz, eine Forderung.
Berlin
Kalkuliert, gezielt, gewollt
Nr. 19/2008, Titel: Das Böse nebenan – Wenn
Menschen unmenschlich werden:
Das monströse Doppelleben des Josef Fritzl
Alle Einzelheiten legen nahe, dass es sich
bei Fritzl um einen Menschen mit dämoni-
scher Intelligenz handelt. Wer eine derart
komplexe Tat begeht, ist voll schuldfähig.
Der derzeitige Goldstandard für Schuld-
Nachbarn, Bekannte, Mitbewohner, Be-
amte, alle sind zutiefst bestürzt und liefern
gleich die Rechtfertigung für ihr Wegse-
hen. Es gab bisher keine öffentliche Stim-
me der Selbstkritik. Kein rein österreichi-
sches Phänomen, leider ein menschliches.
München
Frank Bode
Solche Menschen leben in einer Parallel-
welt. Dazu gehören ein Fehlen von Empa-
thie, ein hoher Verwahrlosungsgrad sowie
eine patriarchalische Gesellschaft, die
Frauen auf „Sex haben“ reduziert. Ja, die-
ser Mann handelte aus freiem Willen! Und
was schlimmer ist, der glaubt für den Rest
seines Lebens, dass er nur Gutes wollte
und er der Herr des Hauses ist.
Adelaide (Australien)
Inzest-Täter Fritzl
Lustgewinn aus dem Machtkick
fähigkeit im forensischen Sinn ist ja grade
dieser: Kann der Täter verstehen, dass sei-
ne Tat gegen geltende Gesetze verstößt?
Fritzl versteht das sicher. Anscheinend fehlt
ihm zwar vollständig das Einfühlungsver-
mögen, um die Grausamkeit seiner Taten zu
erspüren und zu erfühlen, aber die Geset-
zeslage muss ihm klar sein – zu kalkuliert,
zu gezielt und zu gewollt war sein Handeln,
als dass es psychotische oder andere Be-
schränkungen auch nur andeuten würde.
Mons (Belgien)
Martin Vogel
SPIEGEL ONLINE Forum
Katja Labudda
SPIEGEL ONLINE Forum
Im Artikel „Es tut ein ganzes Leben weh“
gibt die Autorin an, dass circa 8 von 100
Missbrauchsfällen vom Vater begangen wer-
den. Das widerspricht deutlich meiner klini-
schen Erfahrung als Psychologin. Die meis-
ten meiner PatientInnen wurden Opfer
durch den Vater oder Stiefvater (etwas häu-
figer). Weniger oft waren Vorgesetzte, Brü-
der, (Stief-)Opa oder Onkel die Täter. Der
unbekannte Täter oder Nachbar trat in den
seltensten Fällen auf. Die Verfälschung der
Statistik ist vermutlich durch Kriminalstatis-
tiken zu erklären, die sich auf Anzeigen
gründen. Familiäre Gewaltdelikte gelangen
in den seltensten Fällen zur Anzeige, da
Man kann nur begrüßen, wenn die Neuro-
wissenschaften endlich beweisen, dass früh-
kindliches Geschlagenwerden, Demütigung
und der Terror, alles auch noch verdrängen
zu müssen, konkrete somatische Spuren
hinterlassen und den „freien Willen“ zur
Farce werden lassen. Nur muss man eben
auch endlich etwas daraus lernen. Denn
wir können ja lernen.
Merdingen (Bad.-Württ.)
Pat Kalanu
Michael Schaefer
Der moralische Zeigefinger auf eine öster-
reichische Konsensgesellschaft, die durch
ihr Schweigen ein so grausames Verbrechen
leichter ermöglicht, ist völlig unangebracht;
Es sind wohl keine Täter denkbar, die nicht
als Kinder auch Opfer geworden sind. Wenn
ihnen nicht geholfen wurde, müssen sie die
erlittenen Demütigungen verdrängen, um
zu überleben. Diese Verdrängung produ-
ziert neuronale Autobahnen, bei denen es
keine Ausfahrt mehr gibt. Wenn physische
und psychische Misshandlungen die einzi-
gen emotionalen „Zuwendungen“ der El-
tern waren, bei denen etwas Verbotenes be-
straft wurde, ist es wohl kein Wunder, wenn
diese Menschen immer wieder dem Kick
des Verbotenen folgen müssen: Der unaus-
gesprochene Wunsch nach Zuwendung.
Berlin
Diskutieren Sie auf SPIEGEL ONLINE
• Titel Tibet – Kann der Dalai Lama die Führung in Peking
in die Knie zwingen? www.spiegel.de/forum/Tibet
• Politik Ist die Demokratie in Deutschland gefährdet?
www.spiegel.de/forum/Demokratie
• Frauen Heidi Klum und Charlotte Roche – Schwestern
im Geiste? www.spiegel.de/forum/Frauen
Uwe Niese
12
der spiegel
20/2008
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Zgłoś jeśli naruszono regulamin