Zwei Prager Geschichten - Rainer Maria Rilke.pdf

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Title: Zwei Prager Geschichten
Title: Zwei Prager Geschichten
Author: Rainer Maria Rilke
Release Date: January 17, 2009 [EBook #27822]
Release Date: January 17, 2009 [EBook #27822]
Language: German
Character set encoding: ISO
encoding: ISO-8859-1
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZWEI PRAGER GESCHICHTEN ***
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Produced by Jana Srna, mcbax and the Online Distributed
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Anmerkungen zur Transkription:
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Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich
offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Änderungen sind im Text
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gekennzeichnet , der
Zwei Prager Geschichten.
Zwei Prager Geschichten.
Zwei
Prager Geschichten
Prager Geschichten
329988440.001.png
von
Rainer Maria Rilke.
Stuttgart.
Verlag von Adolf Bonz & Comp.
1899.
Druck von A. Bonz' Erben in Stuttgart.
Vorwort.
Dieses Buch ist lauter Vergangenheit. Heimat und Kindheit
Hintergrund. – Ich würde es heute nicht
haben. Aber damals als ich es schrieb, war es mir notwendig. Es hat mir Halbvergessenes lieb
gemacht und mich damit beschenkt; denn wir besitzen von der Vergangenheit nur das, was
wir lieben. Und wir wollen alles Erlebte besitzen.
Dieses Buch ist lauter Vergangenheit. Heimat und Kindheit – beide längst fern –
Ich würde es heute nicht so, und darum wohl überhaupt nicht geschrieben
haben. Aber damals als ich es schrieb, war es mir notwendig. Es hat mir Halbvergessenes lieb
gemacht und mich damit beschenkt; denn wir besitzen von der Vergangenheit nur das, was
wir lieben. Und wir wollen alles Erlebte besitzen.
– sind sein
geschrieben
haben. Aber damals als ich es schrieb, war es mir notwendig. Es hat mir Halbvergessenes lieb
gemacht und mich damit beschenkt; denn wir besitzen von der Vergangenheit nur das, was
Schmargendorf, im Februar 1899.
, im Februar 1899.
Rainer Maria Rilke.
Inhalt.
Seite
König Bohusch 1
Die Geschwister 81
329988440.002.png
1
König Bohusch.
Als3 der große Mime Norinski um drei Uhr nachmittags in das National
dem Prager tschechischen Theater liegt, eintrat, erschrak er ein wenig, lächelte aber gleich
darauf sein verächtlichstes Lächeln: in dem Spiegel, schräg gegenüber der Thür,
irgend eine entfernte Ecke des Saales gefangen, und er hatte drinnen eine schiefe
Marmorsäule und unter dieser Säule einen kleinen, buckligen Mann erkannt, dessen seltsame
Augen dem Eintretenden wie lauernd aus einem unförmigen Kopfe entgegensta
Fremde dieses Blickes, in dessen Tiefen irgend ein unerhörtes Geschehen sich dunkel zu
spiegeln schien, hatte ihn einen Augenblick in Schrecken versetzt. Nicht etwan weil er
besonders furchtsamer Natur gewesen wäre, sondern infolge des profunden
Wesens, welches so großen Künstlern meistens eignet, und durch dessen Wall sich jedes
Ereignis 4gleichsam durchbohren muß. Dem Original gegenüber empfand Norinski nichts
ähnliches. Er übersah den Verwachsenen sogar eine ganze Weile, währen
Wichtigkeit den andern am Stammtisch die Hand reichte. Die Händedrücke nahmen eine
ziemliche Zeit in Anspruch, denn jeder hatte gleichsam 3 Akte. 1.
Hand des Schauspielers dem Flehen der entgegengestreckten Hände.
spricht nachdrücklich zu der, welche sie umfaßt: Merkst du auch die Bedeutung dieses
Moments? 3. Akt und Katastrophe, wobei Norinski jede Hand verächtlich loslies, fortwarf:
Oh du Erbärmlicher, das kannst du ja gar nicht merken .
diesmal: Karás, der lange blasse Kritiker des »Tschas«, ausgezeichnet durch einen überaus
langen Hals und – wie ein boshafter jüdischer Kollege mal behauptet hatte
höflichen »Adamsapfel«, welcher jeden Tropfen durch di
Kragenrand, wo er sich nicht mehr verirren konnte, begleitete und von dort diensteifrig auf
seinen Posten zurückschnellte, Schileder, der schöne Maler, der so traurige Dinge malte, der
Novellist Pátek, der Lyriker Machal,
großen Stammglas heißen Tschaj mit viel Cognac trank und schwieg. Endlich schien Norinski
auch den Buckligen zu bemerken. Er lachte: »König Bohusch!« und streckte mit ironischem
»Majestät« die Hand über den Marmortisch. Der Kleine fuhr auf und schickte ihm, um die
Mimenhand nicht warten zu lassen, überhastig seine gelben unreifen Finger entgegen, so daß
sich die beiden Hände, wie Vögel in der Luft haschten. Dem Bohusch kam das ziemlich
drollig vor, und er ließ ein zitterndes zerbrochenes Lachen hören, das er ängstlich unterbrach,
als er bemerkte, wie die Blatternarben auf Norinskis Stirne sich unter ärgerlichen Falten
versteckten. Der Mime murmelte etwas, gab die Jagd auf und sagte in schlechter Laune zu
Karás:
der große Mime Norinski um drei Uhr nachmittags in das National-Café, welches vor
dem Prager tschechischen Theater liegt, eintrat, erschrak er ein wenig, lächelte aber gleich
darauf sein verächtlichstes Lächeln: in dem Spiegel, schräg gegenüber der Thür,
irgend eine entfernte Ecke des Saales gefangen, und er hatte drinnen eine schiefe
Marmorsäule und unter dieser Säule einen kleinen, buckligen Mann erkannt, dessen seltsame
Augen dem Eintretenden wie lauernd aus einem unförmigen Kopfe entgegenstarrten. Das
Fremde dieses Blickes, in dessen Tiefen irgend ein unerhörtes Geschehen sich dunkel zu
spiegeln schien, hatte ihn einen Augenblick in Schrecken versetzt. Nicht etwan weil er
besonders furchtsamer Natur gewesen wäre, sondern infolge des profunden und versonnenen
Wesens, welches so großen Künstlern meistens eignet, und durch dessen Wall sich jedes
gleichsam durchbohren muß. Dem Original gegenüber empfand Norinski nichts
ähnliches. Er übersah den Verwachsenen sogar eine ganze Weile, während er mit unnötiger
Wichtigkeit den andern am Stammtisch die Hand reichte. Die Händedrücke nahmen eine
ziemliche Zeit in Anspruch, denn jeder hatte gleichsam 3 Akte. 1. Akt: Zögernd folgt die
Hand des Schauspielers dem Flehen der entgegengestreckten Hände. 2. Akt: Seine Hand
spricht nachdrücklich zu der, welche sie umfaßt: Merkst du auch die Bedeutung dieses
Akt und Katastrophe, wobei Norinski jede Hand verächtlich loslies, fortwarf:
Oh du Erbärmlicher, das kannst du ja gar nicht merken . . . Diese Erbärmlichen waren
diesmal: Karás, der lange blasse Kritiker des »Tschas«, ausgezeichnet durch einen überaus
wie ein boshafter jüdischer Kollege mal behauptet hatte – einen überaus
höflichen »Adamsapfel«, welcher jeden Tropfen durch die Einsamkeit der Kehle bis an den
Kragenrand, wo er sich nicht mehr verirren konnte, begleitete und von dort diensteifrig auf
seinen Posten zurückschnellte, Schileder, der schöne Maler, der so traurige Dinge malte, der
Novellist Pátek, der Lyriker Machal, der Student Rezek, der etwas abseits 5saß, aus einem
großen Stammglas heißen Tschaj mit viel Cognac trank und schwieg. Endlich schien Norinski
auch den Buckligen zu bemerken. Er lachte: »König Bohusch!« und streckte mit ironischem
den Marmortisch. Der Kleine fuhr auf und schickte ihm, um die
Mimenhand nicht warten zu lassen, überhastig seine gelben unreifen Finger entgegen, so daß
sich die beiden Hände, wie Vögel in der Luft haschten. Dem Bohusch kam das ziemlich
ließ ein zitterndes zerbrochenes Lachen hören, das er ängstlich unterbrach,
als er bemerkte, wie die Blatternarben auf Norinskis Stirne sich unter ärgerlichen Falten
versteckten. Der Mime murmelte etwas, gab die Jagd auf und sagte in schlechter Laune zu
Café, welches vor
dem Prager tschechischen Theater liegt, eintrat, erschrak er ein wenig, lächelte aber gleich
darauf sein verächtlichstes Lächeln: in dem Spiegel, schräg gegenüber der Thür, hatte sich
irgend eine entfernte Ecke des Saales gefangen, und er hatte drinnen eine schiefe
Marmorsäule und unter dieser Säule einen kleinen, buckligen Mann erkannt, dessen seltsame
rrten. Das
Fremde dieses Blickes, in dessen Tiefen irgend ein unerhörtes Geschehen sich dunkel zu
spiegeln schien, hatte ihn einen Augenblick in Schrecken versetzt. Nicht etwan weil er
und versonnenen
Wesens, welches so großen Künstlern meistens eignet, und durch dessen Wall sich jedes
gleichsam durchbohren muß. Dem Original gegenüber empfand Norinski nichts
d er mit unnötiger
Wichtigkeit den andern am Stammtisch die Hand reichte. Die Händedrücke nahmen eine
Akt: Zögernd folgt die
Akt: Seine Hand
spricht nachdrücklich zu der, welche sie umfaßt: Merkst du auch die Bedeutung dieses
Akt und Katastrophe, wobei Norinski jede Hand verächtlich loslies, fortwarf:
se Erbärmlichen waren
diesmal: Karás, der lange blasse Kritiker des »Tschas«, ausgezeichnet durch einen überaus
einen überaus
e Einsamkeit der Kehle bis an den
Kragenrand, wo er sich nicht mehr verirren konnte, begleitete und von dort diensteifrig auf
seinen Posten zurückschnellte, Schileder, der schöne Maler, der so traurige Dinge malte, der
saß, aus einem
großen Stammglas heißen Tschaj mit viel Cognac trank und schwieg. Endlich schien Norinski
auch den Buckligen zu bemerken. Er lachte: »König Bohusch!« und streckte mit ironischem
den Marmortisch. Der Kleine fuhr auf und schickte ihm, um die
Mimenhand nicht warten zu lassen, überhastig seine gelben unreifen Finger entgegen, so daß
sich die beiden Hände, wie Vögel in der Luft haschten. Dem Bohusch kam das ziemlich
ließ ein zitterndes zerbrochenes Lachen hören, das er ängstlich unterbrach,
als er bemerkte, wie die Blatternarben auf Norinskis Stirne sich unter ärgerlichen Falten
versteckten. Der Mime murmelte etwas, gab die Jagd auf und sagte in schlechter Laune zu
»Ihr schreibt auch einen Kohl, mein Lieber. Aber das sag' ich dir, ich spiele meinen Hamlet
das nächstemal just so, wie gestern. Ich spiele eben
»Ihr schreibt auch einen Kohl, mein Lieber. Aber das sag' ich dir, ich spiele meinen Hamlet
das nächstemal just so, wie gestern. Ich spiele eben meinen . Verstehst du, Liebster?«
»Ihr schreibt auch einen Kohl, mein Lieber. Aber das sag' ich dir, ich spiele meinen Hamlet
. Verstehst du, Liebster?«
Karás schluckte irgendwas hinunter und sagte etwas von der Auffassung, d
hätten, Bedeutende; er möchte nur Kainz nennen oder
Glas aus und Norinski sagte erregt:
Karás schluckte irgendwas hinunter und sagte etwas von der Auffassung, die andere bekundet
hätten, Bedeutende; er möchte nur Kainz nennen oder – der Student Rezek trank heftig sein
Glas aus und Norinski sagte erregt:
ie andere bekundet
der Student Rezek trank heftig sein
6 »Liebster, was geht mich ein deutscher Hamlet an. Du wirst doch nicht etwan behaupten
wollen, wir dürften nicht auch unsere Meinung haben? Ist der Shakespeare ein Deutscher?
»Liebster, was geht mich ein deutscher Hamlet an. Du wirst doch nicht etwan behaupten
ht auch unsere Meinung haben? Ist der Shakespeare ein Deutscher?
»Liebster, was geht mich ein deutscher Hamlet an. Du wirst doch nicht etwan behaupten
ht auch unsere Meinung haben? Ist der Shakespeare ein Deutscher?
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Nun, was gehn uns also die Deutschen dabei an? Ich nehme meine Auffassung sozusagen
direkt aus dem Englischen.«
»Das einzig richtige,« sanktionierte Pátek und strich den spitzen Modebart mit gepflegten
Fingern.
»Dein Kostüm übrigens, ich meine vom malerischen Standpunkt –« besänftigte der schöne
Maler, und rasch wandte sich ihm Norinski zu. »Ja,« gähnte er so ganz obenhin, und dann mit
herablassender Gönnerstimme: »Was macht denn Ihr Schauspiel, Machal?«
Der Lyriker schaute eine Weile schweigend in sein Absinthglas und erwiderte leise und
kummervoll: »Es ist Frühling«.
Alle erwarteten noch etwas, aber der Dichter schien schon wieder unterwegs nach dem
blassen Garten seiner Träume. Er sah sein Absinthglas wachsen und wachsen, bis er selbst
sich mitten drin fühlte in dem opalnen Licht, ganz leicht, ganz gelöst in dieser seltsamen
Atmosphäre. Nur Schileder hatte das gewaltige Wort ernst hingenommen. Es lag über 7ihm,
so dicht, daß er auch nicht mit den Wimpern hätte zucken mögen. In seinem Tiefsten dachte
er: Gott, das trifft jeder. Hat er denn etwas besonderes gesagt? Das kann ich auch: es ist . . . Er
kam nicht zu Ende damit. Alle lachten und Schileder atmete auf, als er an den Mienen der
anderen sah, daß der Ausspruch doch nicht so gewichtig gewesen sein mochte. Karás wandte
sich an den Lyriker: »Das heißt, es blüht dein Stück. Hm?«
Da sagte Machal seiner Muse mit einer Verbeugung: »Entschuldigen Sie –« und kam ungern
zurück aus der opalnen Welt; aber das Mißverständnis war auch zu arg: »Nein,« betonte er,
»das heißt, ich bin zu traurig jetzt. Das heißt, es ist jetzt die Zeit, wo die Natur alles Werden
mißversteht, das heißt, daß ich müde bin – müde dieses wunden Keimens.«
»Aber verzeih,« der Novellist tippte ihn mit dem modegelben Handschuh auf die Schulter,
»das mag ja sein, aber das ist doch nicht Frühling.«
Und der Maler dachte: nein, das ist nicht Frühling.
»Im wunderschönen Monat Mai,« deklamierte der Mime.
8 »Einst,« hauchte der Dichter und machte eine Bewegung mit der Hand, mit welcher er
dieses Einst noch weiter zurückdrängte, »einst war das vielleicht so, wie es in alten Gedichten
steht – der Frühling: ›Licht und Liebe und Leben‹. Wer das noch glaubt, belügt sich.« Er
seufzte tief.
Wie schade, dachte der Maler, also kein Frühling mehr.
Machal aber erhob sein Gesicht, das durch große Sommerflecken entstellt war, hoch in das
klare Nachmittagslicht und konnte durch das Fenster gerade die Rampe des Nationaltheaters
sehen, längs welcher ein Schutzmann auf und nieder ging. Das wollte er nun gerade
niemandem zeigen, allein er sagte gleichwohl:
»Schaut nur hinaus. Dieser Kampf mit den blöden brachen Schollen, den jeder der feinen
schwachen Keime kämpfen muß, um zu seinem Sommer zu kommen. Hier,« und er schraubte
sich noch ein wenig höher – »steht die hilflose Blüte und will blühen; das ist das einzige, was
sie kann, sie kann nur blühen und sie will wirklich niemanden stören damit, und doch sind
alle gegen sie: die schwarzen Krumen, die sie nur nach langem Bitten durchlassen, die 9Tage,
die wahllos Wärme und Regen und Wind auf sie herabstreuen und die Nächte, die sich
langsam an sie heranschleichen, um sie zu würgen mit ihren eisigen Fingern. Dieser feige
traurige Kampf, das ist der Frühling.« Machal fröstelte; seine Augen starben. »König
Bohusch« sah ihn ganz starr an. Das war etwas sehr Ungerechtes, was der Dichter sagte,
schien ihm, und er hatte vieles dagegen im Sinn. Es drängte ihn aufzustehen und hochragend
und heiter den Frühling zu verteidigen, der dennoch voll Sieg und Sonne war. Ihm stiegen so
viele schöne Gedanken in den Kopf, daß ihm die Wangen ganz warm wurden und er eine
Sekunde das Atmen vergaß. Aber ach, was hätte es genützt, aufzustehen; sie hätten es kaum
bemerkt, denn Bohusch sah, auf der hohen Samtbank sitzend, fast größer aus als wenn er
stand. Auch seine Stimme hätte kaum bis zu Norinski hinüber fliegen können; bei solchen
Entfernungen wurde sie schon ungewiß und flatterte wie ein angeschossener Vogel. Das
wußte Bohusch. Und so schwieg er, preßte die Lippen, die wie aus Holz geschnitzt waren, eng
aneinander und begann, wie oft als Kind, still für sich mit den vielen goldenen Gedanken zu
spielen, ganze Berge und Burgen zu bauen, aus deren 10schlanken Säulenfenstern seine
Träume ihn grüßten. Und er war so reich, daß er jedesmal neue Paläste errichten konnte, von
denen keiner einem alten ähnlich sah, und das will etwas bedeuten, da der Kleine über dreißig
Jahre diese Beschäftigung trieb, seit seinem fünften Lebensjahre etwan – und sich doch nicht
wiederholen mußte. Die anderen sprachen jetzt, während Machal sich gewiß wieder im
Absinthglas sitzen fühlte, von lauten Dingen und Alltäglichkeiten in wirrem Durcheinander,
und über allem schwebte die Baßstimme des Schauspielers mit ausgebreiteten Flügeln.
Bohusch aber dichtete in seiner Ecke an seiner Apologie des Frühlings. Er kannte ihn ja
eigentlich nur so wie er im finstern und feuchten Hirschgraben oder auf dem Kirchhof
Malvasinka aussah; einmal als Kind hatte er ihn in der wilden Schárka gesehen, und heute
hörte er noch in seiner Brust ein feines, altes Echo jenes Sonnentages. Wie selig mußte der
erst draußen zu schauen sein, wo er seine Heimat hat, weit von der Stadt und ihrer Unrast, und
es ärgerte und kränkte ihn, daß die Menschen um ihn, die doch weit herum gekommen sind,
zugaben, daß man den Frühling verleugne. Das mußte er ihnen doch sagen. Aber ein zager
Versuch seiner Lippen ging in dem 11allgemeinen Hin und Wider schnell und spurlos unter,
und der arme Bohusch hätte auch nichts mehr zu sagen gewußt. Als fürchteten sie, verraten zu
werden, flüchteten seine Gedanken in ängstlichem Ungestüm aus der schönen Versammlung,
und statt ihrer füllte eine einzige Vorstellung sein Gehirn und die sprach er willenlos und
unbemerkt aus: Ja, mein Vater. Es bedurfte eines Augenblicks, ehe der Bucklige sich klar
machte, warum er gerade an ihn dachte. Er sah ihn: in seinem riesigen dunkelblauen
Tressenpelz, dessen Kragen mit dem mächtigen Vollbart zu verschmelzen schien, ging er mit
breiten, selbstbewußten Schritten in dem lichtgetünchten hohen Flur des alten Fürstenpalastes
in der Spornergasse her und hin. Der goldene Knopf seines Stabes rührte fast an die goldenen
Fransen, die von der Krempe des dreispitzigen Hutes hingen, unter welchem seine Augen
ernst und wachsam waren. Dann stand der kleine kränkliche Bohusch oft hinter der Thüre der
Portierswohnung und schaute scheu durch eine Spalte dem gewaltigen Schreiten des Vaters
nach, dessen Gestalt höher war als die aller anderen Menschen, um so vieles ragender auch als
die des alten Fürsten, vor dem der Vater den Tressenhut ganz tief abnahm, ohne sich indessen
sonderlich 12zu verneigen. An einen Kuß oder ein Lächeln dieses Mannes konnte sich
Bohusch, soweit er zurück sann, nicht erinnern, wohl aber gehörte seine Gestalt und seine
Stimme zu den deutlichsten Eindrücken seiner armen Kindheit. Und darum fiel ihm der Vater
auch immer dann ein, wenn er den längst Toten um diese beiden Eigenschaften beneidete und
sich sagte: Beides ist doch eigentlich jetzt so gut wie unbenutzt; er braucht weder Stimme
noch Gestalt mehr, warum hat er das alles dann mitgenommen? Und wenn der Bucklige das
dachte, kam es immer so: auf einmal fühlte er etwas, das ihn mitnahm, fortriß. Seine
Zgłoś jeśli naruszono regulamin