Terry Pratchett - Strata.Pdf

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Es war natürlich ein herrlicher Tag — ein Tag wie aus
dem Werbeprospekt der Company. Derzeit bot Kins Bü-
ro Ausblick auf eine palmengesäumte Lagune. Am äu-
ßeren Riff gischtete das Wasser, und auf dem Strand aus
zermahlenen weißen Korallen lagen seltsam geformte
Muscheln.
Kein Werbeprospekt hätte die ungeheuerliche Masse
der auf Pontons ruhenden Stratamaschine gezeigt — es
handelte sich um das kleine Modell für Inseln und Atol-
le unter fünfzehn Kilometer Durchmesser. Kin beobach-
tete, wie sich ein weiterer Meter Strand aus dem großen
schwarzen Trichter schob.
Sie überlegte, wer die Maschine wohl steuerte. Die
Struktur des Strandes verriet gestalterisches Genie. Je-
mand, der einen solchen Küstenstreifen schaffen konn-
te, mit Muscheln an genau den richtigen Stellen, ver-
diente Besseres. Aber vielleicht war er ein Thoreau-Typ,
der Inseln mochte. Kin bekam es manchmal mit ihnen
zu tun: in sich gekehrte Männer und Frauen, die nach
den Vulkanspezialisten übers Meer streiften, verträumt
komplexe Archipele anlegten und dabei geradezu unge-
bührliches Geschick offenbarten. Sie beschloß, nach
dem Namen des Piloten zu fragen.
Kin beugte sich über den Schreibtisch und rief den
Bereichstechniker an.
»Joel? Wer hat Dienst in der BCF3?«
»Tag, Kin. Mal sehen. Aha! Gut, nicht wahr? Gefällt's
dir?«
»Nicht schlecht.«
»Hendry sitzt an den Kontrollen. Auf deinem
Schreibtisch liegen einige scheußliche Beschwerden
über ihn. Du weißt schon: Er hat das Dino-Fossil...«
»Ich habe davon gelesen.«
Joel bemerkte den scharfen Unterton in Kins Stimme
und seufzte.
»Nicol Plante ist seine Mixerin, und bestimmt hat sie
ihm geholfen. Ich habe ihnen beiden Inseldienst gege-
ben, weil... Nun, bei einer Koralleninsel gerät man
kaum in Versuchung.«
»Ich weiß.« Kin überlegte. »Schick Hendry zu mir.
Und Nicol ebenfalls. Bestimmt erwartet uns ein an-
strengender Tag. So ist es immer, wenn wir kurz vor der
Fertigstellung stehen: Dann fangen die Leute an, mit ge-
wissen Dingen herumzuspielen.«
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»Es liegt am Übermut der Jugend. Jeder von uns hat
sich den einen oder anderen Streich erlaubt. Bei mir wa-
ren es zwei Stiefel in einem Kohleflöz. Nicht sehr ein-
fallsreich, wie ich zugeben muß.«
»Meinst du, ich sollte ein Auge zudrücken?«
Natürlich meinte er das. Schließlich erlaubte man je-
dem eine persönliche Improvisation, oder? Die Kontrol-
leure entdeckten sie immer, nicht wahr? Und selbst
wenn man sie aus irgendeinem Grund übersah: Man
konnte damit rechnen, daß zukünftige Paläontologen
die Sache vertuschten, hm?
Allerdings neigten sie manchmal dazu, alles viel zu
ernst zu nehmen ...
»Hendry ist gut, und später könnte er großartige Ar-
beit leisten«, sagte Joel. »Dreh ihn nicht zu sehr durch
die Mangel.«
Einige Minuten später hörte Kin, wie das Dröhnen
der Maschine leise wurde und dann ganz verstummte.
Kurz darauf kam ein Roboter aus dem Vorzimmer her-
ein, und ihm folgten ...
... ein untersetzter blonder junger Mann, die Haut
von der Sonne hummerrot gebrannt, und ein dürres
kahlköpfiges Mädchen, fast noch ein Kind. Sie blieben
stehen und starrten Kin mit einer Mischung aus Furcht
und Trotz an, während Korallenstaub auf den Teppich
rieselte.
»Bitte nehmen Sie Platz. Etwas zu trinken? Sie schei-
nen halb verdurstet zu sein. Ich dachte, die Apparate
verfügten über Klimaanlagen.«
Die beiden jungen Leute wechselten einen raschen
Blick. Dann antwortete das Mädchen: »Frane legt Wert
darauf, ein Gefühl für seine Arbeit zu bekommen.«
»Na schön. Der Kühlschrank schwebt direkt hinter
Ihnen, das runde Ding dort. Bedienen Sie sich.«
Die Techniker wichen hastig beiseite, als ihnen die
Kühleinheit an die Schultern stieß, lächelten nervös und
setzten sich.
Sie begegneten Kin mit einer Ehrfurcht, die vages
Unbehagen in ihr weckte. Nach den Akten stammten
Hendry und Nicol von Kolonialplaneten, die so neu wa-
ren, daß ihr Grundgestein erst noch trocknen mußte,
und Kin kam ganz offensichtlich von der Erde. Nicht
von der Ganzen, Neuen, Alten, Wirklichen oder Besten
Erde, sondern von der %%%Erde, die man in den Geschichts-
büchern >als Wiege der Menschheit< bezeichnete. Das
Zwei-Jahrhunderte-Zeichen auf ihrer Stirn hatten sie
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vermutlich nie gesehen, bevor sie sich der John Compa-
ny anschlössen. Außerdem: Kin war ihre Chefin und
konnte sie entlassen.
Der Kühlschrank kehrte in seine Nische zurück, flog
dabei in einem eleganten Bogen um ein Stück leere Luft
im hinteren Bereich des Zimmers. Kin nahm sich vor,
das Gerät überprüfen zu lassen.
Sie saßen in Schwebesesseln. So etwas gab es auf Ko-
lonialwelten nicht, entsann sich Kin. Sie sah auf die Ak-
te, bedachte die beiden Techniker mit einem einleitend-
strengen Blick und schaltete den Recorder ein.
»Sie wissen, warum Sie hier sind«, begann sie.
»Wenn Sie vernünftig waren, haben Sie die Vorschriften
gelesen. Ich bin verpflichtet. Sie an folgendes zu erin-
nern: Sie können entweder mein Urteil als leitende Ma-
nagerin dieses Sektors annehmen oder ein Verfahren
vor dem Untersuchungsausschuß der Company-Zentra-
le beantragen. Wenn Sie sich für mich entscheiden, ist
eine Revision ausgeschlossen. Nun?«
»Sie«, sagte das Mädchen.
»Hat Ihr Begleiter die Sprache verloren?«
»Wir wählen Sie als Richterin, Mizz«, verkündete der
junge Mann mit ausgeprägtem Kredo-Akzent.
Kin schüttelte den Kopf. »Dies ist kein Prozeß. Wenn
Ihnen meine Entscheidungen mißfallen, können Sie je-
derzeit kündigen — wenn ich Sie nicht vorher entlasse.«
Sie gab den jungen Leuten Gelegenheit zum Nachden-
ken. Hinter jedem Angestellten der Company stand ei-
ne lichtjahrlange Schlange aus enttäuschten Bewerben
niemand kündigte.
»Nun gut, es ist registriert. Und nun für die Akte: Ha-
ben Sie am vergangenen 4. Julius die Stratamaschine
BVN67 gesteuert, als Sie den Y-Kontinent erweiterten?
Einzelheiten der Anklage finden Sie im schriftlichen
— Verweis, den Sie damals erhielten.«
»Ja, es stimmt alles«, bestätigte Hendry. Kin betätigte
eine Taste.
Eine Wand des Büros verwandelte sich in einen Bild-
schirm, und sie blickten auf ein Luftbild, das grauen
Fundamentfels zeigte. Die Struktur endete ganz plötz-
lich an einer tausend Meter hohen Schicht, die wie ein
kolossales göttliches Sandwich wirkte. Die Stratama-
schine war von der Klippe gelöst und zur Seite gelenkt
worden. Beim nächsten Einsatz mußte sie von einem
Jockey auf den richtigen Kurs zurückgesteuert werden
— andernfalls würden die Geologen dieser Welt später
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eine unerklärliche Verwerfung finden.
Die Kamera zoomte eine bestimmte Stelle der Klippe
heran:
In halber Höhe war ein Teil des Gesteins geschmol-
zen. Dort hatte man ein Gerüst errichtet, und meh-
rere Arbeiter mit gelben Helmen eilten aus dem Er-
fassungsbereich des Übertragungsmoduls. Bis auf ei-
nen. Er deutete mit einem Meßstab auf Beweisstück A
und grinste: Hallo, ihr Leute in der Kontrollkommission der
Company.
»Ein Plesiosaurier«, stellte Kin fest. »Völlig verkehrt
für diese Schicht, aber was soll's?« Die Kamera glitt
über das halb ausgegrabene Skelett hinweg und richtete
ihre Linsen nun auf einige verzerrte Rechtecke neben
dem künstlichen Fossil. Kin nickte, als man Einzelheiten
erkennen konnte. Das Tier hatte ein Transparent getra-
gen, und die Aufschrift lautete:
»Schluß mit den Atomtests«, sagte sie ruhig.
Sicher war viel Arbeit dafür notwendig gewesen,
wahrscheinlich mehrere Wochen. Um so etwas zu be-
werkstelligen, mußte man dem Hauptcomputer der Ma-
schine ein äußerst kompliziertes Programm eingeben.
»Wie haben Sie es herausgefunden?« fragte das Mäd-
chen.
Jede Stratamaschine enthielt einen elektronischen
Petzer — doch das war ein Firmengeheimnis. Die verrä-
terische Vorrichtung befand sich in dem zehn Kilometer
großen Ausgabeschlitz des Apparats, und ihre Aufgabe
bestand darin, die Realisierung inoffizieller persönlicher
Ideen zu entdecken. Sie blieb dort, bis sie etwas meldete.
Früher oder später gab jeder der Versuchung nach. Je-
der neue Planetendesigner mit nur einer Prise Talent
fühlte sich wie ein König an den Kontrollen des Traum-
apparats, den man Stratamaschine nannte. Irgendwann
konnte er nicht widerstehen und beschloß, sich einen
Scherz mit zukünftigen Paläontologen zu erlauben und
ihnen ein Rätsel aufzugeben, an dem sie verzweifelten.
Manchmal wurden sie von der Company gefeuert —
oder befördert.
»Magie«, behauptete Kin. »Geben Sie es zu?«
»Ja«, erwiderte Hendry. »Darf ich etwas zu unserer
Verteidigung anführen?«
Er griff in eine Tasche und holte ein abgegriffenes
Buch hervor. Einige Sekunden lang blätterte er und fand
schließlich die gesuchte Seite.
»Äh, ich möchte einen der wichtigsten Planetendesi-
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