Atlan - Heft 245 - Mutantenhölle Saruhl_L3.rtf

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Atlan - Der Held von Arkon

Nr. 245

Akon-Akon

 

Mutantenhölle Saruhl

von Peter Terrid

 

Sie rebellieren gegen das Energiekommando - mitten im Dschungel der Mutationen

 

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen.

Gegenwärtig ist Atlan allerdings nicht in der Lage, an diesem Kampf mitzuwirken, da er sowie ein paar Dutzend seiner Gefährten von der ISCHTAR im Bann Akon-Akons, des Psycho-Tyrannen, stehen, gegen dessen Befehle es keine Auflehnung gibt.

Akon-Akon, der mit Atlans und Fartuloons Hilfe den »Stab der Macht« in Besitz nehmen konnte, treibt die von ihm beherrschte Gruppe von Männern und Frauen durch eine Reihe von Transmittersprüngen immer weiter ins Unbekannte.

Nächste Station dieser gefährlichen Reise ist die MUTANTENHÖLLE SARUHL …

 


Die Hauptpersonen des Romans:

 

Karoon-Belth - Chef einer akonischen Rebellengruppe.

Dankor-Falgh - Leiter der Loyalisten eines akonischen Demontagegeschwaders.

Mervet Phan und Althea Phudor - Ein Loyalist und eine Rebellin werden zu Verbündeten.

Akon-Akon und Atlan - Der Willenstyrann und der Kristallprinz erreichen mit ihrer Gruppe die Mutantenhölle.

Vandra von Laggohn - Kommandantin eines akonidischen Transporters.

 

1.

 

Mervet Phan war Transmitterspezialist, Fachmann für Aufbau und Abbruch von Großtransmittern. Ein ungewöhnlich friedfertiger junger Mann, der sanft und still seine Arbeit verrichtete und nur durch die bestechende Qualität seiner Arbeit angenehm auffiel. Privat war das Auffälligste an ihm der stets leicht verträumte Ausdruck seiner Augen, dazu kam eine gehörige Portion linkischer Schüchternheit. Beides zusammen hatte ihn zum stillen Schwarm des weiblichen Personals gemacht.

Zur Zeit sah Mervet Phan wenig begeisternd aus.

Das dunkle Haar war vom Schweiß durchtränkt und hing ihm in klebrigen Strähnen in die Stirn. Der linke Ärmel seines Jacketts war aufgerissen und zeigte einen Streifen blutigen Fleisches. Die Kleidung hing in Fetzen und war schmutzig. In der linken Hand hielt Mervet die Waffe. Entgeistert starrte er auf den Mann, den er vor wenigen Sekunden getötet hatte.

Im Hintergrund gingen die Kämpfe weiter, fielen Schüsse, wurde getötet und gestorben. Langsam setzte sich Mervet Phan auf den moosüberwachsenen Stein. Das Wüten des Kampfes nahm er nicht mehr wahr.

Vor achtundvierzig Stunden war Mervet Phan noch ein junger und sanftmütiger Transmittertechniker gewesen. Er hatte eine unauffällige, aber kleidsame Uniform getragen und sich auf seinen ersten Einsatz außerhalb des Verstecks gefreut. Er war nervös gewesen, als er sich zum erstenmal den Waffengurt umgeschnallt hatte. Mervet Phan hielt nichts vom Töten. Das war vor zwei Tagen gewesen …

 

 

*

 

»Sie kennen die Lage«, hatte Dankor-Falgh gesagt. Die Einsatzbesprechung war damit eröffnet gewesen.

Jeder kannte die Lage und auch den Auftrag.

Es galt, den Großtransmitter auf Saruhl aufzusuchen und zu demontieren. Das war der Auftrag, den das 14. Demontagegeschwader Fereen-Tonkas zu erfüllen hatte. Für diese Aufgabe war vom Energiekommando eine Frist von sieben Tagen angesetzt worden. Anschließend sollte ein Transporter Saruhl anfliegen und den demontierten Transmitter an Bord nehmen. Mit diesem Schiff sollte dann auch das Demontagegeschwader Saruhl verlassen.

Ein einfacher Auftrag, für den man zweitausend qualifizierte Männer und Frauen abgestellt hatte. Wenn es ein Risiko gab, dann bestand es darin, daß bei der Demontage wertvolle Gerätschaften beschädigt oder gar zerstört wurden. Viel mehr konnte eigentlich nicht geschehen. Eigentlich nicht …

 

 

*

 

Mervet Phan wechselte den Standort, er wollte den Toten nicht länger ansehen. Unter einem Baum machte er es sich bequem. Irgendwo über seinem Kopf schimpften ein paar einheimische Vögel. Mervet öffnete den Verschluß des Tornisters und holte das Verbandszeug hervor. Sorgfältig wusch er die Wunde am Arm aus. Er verzog das Gesicht, als er das Brennen des Desinfektionsmittels spürte. Anschließend übersprühte er die Verletzung mit Wundplasma aus der Sprayflasche. Wenn es keine Zwischenfälle gab, würde die Wunde in zwei Tagen abgeheilt sein.

Mervet grinste bösartig, als er daran dachte.

»Zwei Tage«, murmelte er. »Achtundvierzig Stunden machen aus zweitausend hochintelligenten Akonen die Besatzung eines Tollhauses!«

Mervet hatte den Anschluß an seine Gruppe verloren. Gruppe war genaugenommen eine viel zu aufwendige Umschreibung für einen wild zusammengewürfelten Haufen aus Männern und Frauen, die allesamt bewaffnet waren und auf alles schossen, was nicht sehr schnell als befreundet identifiziert werden konnte.

Mißmutig kaute Mervet auf den Lebensmittelkonzentraten herum. Die Einsatzverpflegung war berüchtigt schlecht, und unter den extremen Bedingungen Saruhls schmeckte sie besonders langweilig. Wäre der Hunger nicht gewesen, Mervet hätte keinen Bissen heruntergebracht. In der Nähe des Baumes floß ein klarer Bach vorbei, an dem Mervet seinen Durst löschen konnte. Vorsichtshalber überprüfte er die Flüssigkeit mit dem Zähler. Das Wasser war strahlungsfrei, eine Seltenheit in dieser Landschaft, in der fast alles, ob Tiere, Pflanzen oder Steine, mehr oder minder stark radioaktiv war.

Das war die erste Überraschung gewesen, auf die das Demontagegeschwader gestoßen war. Es war die kleinste Überraschung.

»Wenn du dich bewegst, schieße ich!«

Mädchen und Frauen mochten Mervet Phan, und Mervet Phan mochte Mädchen und Frauen, aber nicht die Sorte, die hinter einem stand und mit einer Waffe drohte. Eine total verrückte Welt, dachte er.

»Kann ich wenigstens aufstehen? In dieser Haltung werde ich in kürzester Zeit einen Muskelkrampf bekommen.«

»Meinetwegen steh auf, aber ich warne dich …«

»Bei der kleinsten falschen Bewegung wirst du schießen«, sagte Mervet seufzend und richtete sich auf.

»Zu welcher Gruppe gehörst du?«

Mervet konnte nur die Stimme hören, und er verband sie instinktiv mit einem sehr attraktiven Mädchen. Erschöpfung schwang darin mit, und der leise Unterton von Angst und Nervosität war deutlich zu hören.

»Zu welcher Gruppe, antworte!«

Wenn er nichts sagte, würde sie ihn erschießen. Wenn er aber antwortete, standen seine Chancen exakt gleich. Nannte er die richtige Gruppe, hatte er eine Verbündete gefunden. Nannte er den falschen Namen, würde sie ihn kurzerhand erschießen. Eine extrem unangenehme Situation, die weit über das hinausging, was Mervet Phan zu bewältigen imstande war.

»Bringen wir es hinter uns. Ich halte zu Dankor-Falgh.«

»Dein Pech«, sagte das Mädchen.

Eine Pause entstand, eine Pause, die fast körperlich wurde und Mervet zu ersticken drohte. Er senkte langsam und deutlich sichtbar die linke Hand, griff an den Gurt. Wenige Augenblicke später fiel der Waffengurt auf den Boden.

»Darf ich mich umdrehen?«

»Was soll das? Ich muß dich erschießen, das weißt du genau. Es wäre mir lieber …«

Sie beendete den Satz nicht, aber Mervet wußte, wie sie ihn hatte fortführen wollen. Sie wollte ihm nicht ins Gesicht sehen, während sie ihn tötete. Mervet bewegte sich langsam und drehte sich herum.

Sie war wirklich hübsch, ziemlich schmutzig und furchtbar ängstlich, aber auch gefährlich. Die Waffe in ihrer Hand war entsichert.

Mervet lächelte und sah ihr in die Augen. Hilflos zuckte er mit den Schultern.

Einen winzigen Augenblick lang hielten sie sich die Waage, Eros und Thanatos, Liebe und Todestrieb, beide im Würgegriff der Angst. Das Mädchen lächelte instinktiv und ließ dabei die Waffe ein wenig sinken.

Mit dem Mut, der aus der Angst erwächst, warf sich Mervet nach vorne. Der Strahl streifte seine linke Schulter, es fühlte sich an, als würde sie in Flammen aufgehen. Mervet schrie in der Bewegung auf. Sein Schwung war groß genug, er prallte gegen das Mädchen, das zusammen mit ihm auf den Boden stürzte. Trotz der tobenden Schmerzen brachte es Mervet fertig, ihr die Waffe abzunehmen. Das Mädchen blieb liegen, und Mervet konnte ihr ersticktes Schluchzen hören. Er warf die Waffe zur Seite und streichelte langsam ihren Rücken. Mervet konnte das krampfhafte Zucken des Brustkorbs fühlen, und er wußte auch, welche Gedanken das Mädchen bewegten.

Wieder griff Mervet zum Verbandsmaterial. Notdürftig versorgte er die Wunde an seiner Schulter. Es war nur ein Streifschuß gewesen, aber ärger konnte ein tödlicher Treffer schwerlich schmerzen. Mehrmals stöhnte Mervet unterdrückt auf.

Das Weinen des Mädchens verebbte. Sie richtete sich auf und strich sich die Haare aus der Stirn. Einige Nadeln der umherstehenden Bäume lösten sich aus dem Haar und fielen auf den Boden. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und erzeugte so eine feuchte Spur auf den staubbedeckten Wangen.

»Ich kann das besser.«

Während sie Mervet verband, mußte der junge Mann daran denken, daß die gleichen schlanken Finger vor kurzer Zeit noch am Abzug der Waffe gewesen waren und ihn auch betätigt hatten.

»Hunger?«

Das Mädchen nickte, und Mervet gab ihr einige seiner Konzentrate. Während sie mit großem Hunger aß, schnallte Mervet wieder seinen Waffengurt um. Die Waffe des Mädchens steckte er in ihren Gürtel zurück, dann setzte er sich neben ihr auf das weiche Gras.

»Mervet Phan«, stellte er sich vor.

»Althea Phudor«, antwortete sie mit vollem Mund. »Ich bin Transmittertechnikerin.«

»Wer auf diesem Planeten wäre das nicht«, kommentierte Mervet sarkastisch. »Du gehörst also zu den Leuten um Karoon-Belth?«

Das Mädchen nickte kurz.

»Heiliges Akon«, murmelte Mervet. »Kannst du mir verraten, wie es jetzt weitergeht?«

»Wir trennen uns«, sagte Althea ruhig. »Ich gehe dorthin, du in die andere Richtung.«

»Und dabei laufen wir dann unseren jeweiligen Feinden vor die Mündungen«, bemerkte Mervet bitter. »Ihr hättet euch wenigstens ein Kennzeichen beschaffen können. Man will schließlich wissen, auf wen man schießt!«

»Wir haben den Streit nicht angefangen, das wart ihr!«

»Das ist die schamloseste Lüge, die ich je gehört habe. Wer hat hier rebelliert, ihr oder wir? Welche Gruppe stellt die Verräter, wir vielleicht?«

»Wir wollen auf dieser Welt leben, frei und ohne Aufsicht durch das Energiekommando. Aber ihr versucht, uns daran zu hindern. Haben wir nicht das Recht, für unsere Freiheit zu kämpfen?«

Mervet sprang auf.

»Sagtest du Freiheit? Mädchen, in dieser Galaxis wütet der Große Methankrieg. Jederzeit können hier Feinde auftauchen, denen ihr, ob ihr wollt oder nicht, die genauen Koordinaten von Akon verraten könnt. Wir haben den Auftrag, jeden Hinweis auf das Versteck zu beseitigen, aber ihr verlangt, daß man euch in Ruhe gewähren läßt, damit ihr einen förmlichen Wegweiser für den Gegner bauen könnt.«

Althea seufzte und schüttelte den Kopf.

»Abgesehen davon, daß du dich irrst«, sagte sie ruhig. »Wir haben keine andere Wahl mehr, wir müssen uns verteidigen. Wenn einer von uns dem Gegner in die Hände fällt, ist er verloren. Das Energiekommando ist gnadenlos, es wird jeden einzelnen von uns zum Tode verurteilen. Wir kämpfen mit dem Rücken zur Wand.«

Mervet wußte, daß das Mädchen recht hatte. Er kannte die Gerichtsbarkeit Akons. Man würde Althea im Schnellverfahren zum Tode verurteilen und sie zum Hinrichtungsschacht führen. Man würde sie hineinstoßen, und sie würde fallen – minutenlang, kilometertief. Die Verurteilten sollten die Todesangst auskosten, bevor ihr Körper am Boden des Schachtes zerschellte.

Mervet versetzte dem Baumstamm neben ihm einen Fußtritt, um seiner Spannung irgendwie Luft zu machen. Was er damit erreichte, war lediglich ein schmerzender Fuß.

»Jedenfalls müssen wir etwas unternehmen«, stellte Mervet fest. »Ich habe keine Lust, hier sitzen zu bleiben und zu warten, bis eine der Parteien gewonnen hat. Wenn ich Pech habe, werde ich dann erschossen, aber vielleicht sind wir bis dahin auch schon verhungert.«

»In der Stadt müßte es genügend Nahrung für alle geben«, warf Althea ein. »Ich mache dir einen Vorschlag. Wir erklären uns für neutral, schließen einen Waffenstillstand und versuchen, die Stadt zu erreichen. Dort werden wir weitersehen.«

»Neutral«, spottete Mervet. »Ein Neutraler ist ein Mann, der seinem Henker hilft, das Schwert zu schärfen.«

»Wir können die Angelegenheit auch hier ausschießen«, versetzte Althea kühl. Ihre rechte Hand schwebte über dem Griff ihrer Waffe.

»Schon gut«, wehrte Mervet ab. »Machen wir uns auf den Weg. Du gehst voran, Neutrale

Althea grinste. Sie sah gut aus, stellte Mervet fest, nur reichlich schmutzig.

 

 

*

 

»Der Transmitter steht noch, ist aber abgeschaltet«, stellte Dankor-Falgh fest. »Eigentlich verständlich, schließlich haben die Rebellen keine Lust, Akon irgendwelche Hinweise zu geben.«

Dankor-Falgh entstammte dem Adel von Akon, daraus ergab sich zwangsläufig seine Einstellung zu Karoon-Belths Rebellion. Er war fest entschlossen, die Aufrührer bis auf den letzten Mann niederzumachen. Wenn er es schaffte, die Meuterei niederzuschlagen, ohne der akonischen Justiz Mehrarbeit aufzuladen, konnte das seiner Karriere nur nützlich sein. Dankor-Falgh war ehrgeizig, er wollte in das Energiekommando berufen werden. Die Voraussetzungen, die damit verbunden waren, kannte er – rücksichtsloses Vorgehen gegen jeden, der Akons Interessen gefährdete, dazu unbedingte Ergebenheit gegenüber dem Energiekommando.

»Wir halten die eine Hälfte der Stadt besetzt, die Rebellen die andere. Zusätzlich treiben sich in der Landschaft ringsum noch zahlreiche Versprengte beider Lager herum. Diese Frage können wir einstweilen zurückstellen. Unsere vordringliche Aufgabe besteht darin, die Transmitterhalle zurückzuerobern, damit wir Verbindung zu Akon aufnehmen können.«

»Wir könnten funken«, schlug einer der Offiziere vor.

»Damit wir die Maahks herlocken?« gab Dankor-Falgh zurück. »Ausgeschlossen. Wir brauchen den Transmitter, bevor die Rebellen ihn zerstören können. Wir müssen ihn erobern!«

»Das hört sich leicht an«, murmelte ein Mann. »Es wird die Hölle werden.«

 

 

*

 

Während des Marsches überlegte sich Mervet, wie die Lage wohl aussehen mochte. Er und Althea bewegten sich im Süden der Stadt, auf der linken Seite des Flusses, der die Stadt ziemlich genau halbierte. Auf dem östlichen Ufer hatten sich die Männer und Frauen um Dankor-Falgh gesammelt, die westliche Seite wurde von den Rebellen gehalten. Auf dem westlichen Gebiet lag auch, ziemlich nahe am Ufer, die große Transmitterhalle.

Das Gebiet rings um die Stadt kannte Mervet nicht, aber vermutlich war es, ebenso wie weite Teile des Stadtgebiets, von Pflanzen überwuchert und unbewohnbar.

»Diese Idioten«, murmelte Mervet. Althea drehte sich herum.

»Von wem sprichst du? Meinst du etwa …«

Mervet winkte ärgerlich ab.

»Ich rede nicht von euch, ich meine diese Wahnsinnigen, die offenbar nach dem Abzug der Wächter auf Saruhl zurückgeblieben sind.«

»Ich denke, Saruhl wurde schon vor langer Zeit geräumt?«

»Sicher, auch der Wächter wurde später abgezogen. Aber ein paar Männer und Frauen sind offenbar hiergeblieben, und deren Nachkommen müssen mit atomaren Einrichtungen gespielt haben, von denen sie nicht das geringste verstanden. Anders kann ich mir nicht erklären, warum das Stadtviertel völlig zerstört ist, in dem nach den Unterlagen der große Reaktor gestanden haben muß.«

»Unterlagen können falsch sein«, erinnerte Althea.

»Diese nicht, sie stammen vom Energiekommando!«

»Auch das Energiekommando kann irren«, sagte Althea ruhig.

Mervets Körper versteifte sich. Daß Althea eine Rebellin war, wußte er, aber er hatte nicht geahnt, daß ihr Widerstand so weit gehen würde. Die Behauptung, daß das Energiekommando Fehler machte, erfüllte den Tatbestand des Hochverrats. Das Gesetz räumte in krassen Fällen dem Zeugen das Recht ein, den Täter auf der Stelle niederzuschießen.

»Versuche es nicht«, warnte Althea leise. »Ich werde dich diesmal genau treffen!«

Mervet machte einen Schritt auf Althea zu.

Vielleicht wog das Mädchen nicht genug, um die Höhlung zum Einsturz zu bringen, vielleicht hatte sie auch zufällig einen Schritt gemacht, der sie über das Loch im Boden hinweggeführt hatte. Mervet jedenfalls brach ein.

Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen wegsackte. Eine Wolke feinsten Staubes wirbelte hoch und nahm ihm die Sicht. Seine Füße prallten auf etwas Hartes, sein Kopf prallte mit der Stirn auf die Kante des Loches. Mervet verlor fast die Besinnung.

Langsam nur klärte sich sein Blick.

Er steckte bis an die Schultern in einem engen Schacht, der gerade groß genug war, um ihn aufzunehmen. Ein dickerer Mann wäre wahrscheinlich nur bis an die Hüften eingesunken, aber diese Erkenntnis half Mervet wenig. Sein rechter Arm war mit ihm eingeklemmt, nur der linke konnte bewegt werden.

Mervet bewegte die Beine. Er versuchte, sich an den Wänden des Loches in die Höhe zu stemmen. Der Versuch scheiterte, die Wände des Schachtes waren außerordentlich glatt.

Das konnte nur eines bedeuten: dies war keine zufällige Höhlung im Untergrund, hier hatte jemand oder etwas eine gutgetarnte Falle angelegt. Mervet konnte sich ausrechnen, daß der Erbauer dieser Falle ziemlich bald kommen würde, um nachzusehen, was sich im Schacht verfangen hatte.

»Hilf mir!«

Althea kam vorsichtig einen Schritt näher, dann stoppte sie.

»Warum sollte ich?« fragte sie kalt zurück. »Gerade erst wolltest du auf mich losgehen. Hilf dir selbst, ich werde zusehen, daß ich von hier wegkomme.«

Mervet überschüttete das Mädchen mit einer Flut von Verwünschungen.

»Du kannst mich doch nicht hier einfach zugrunde gehen lassen.«

»Selbstverständlich kann ich. Wer sollte mich daran hindern? Außerdem bin ich eine Rebellin.«

Mervet spürte, daß sich an seinen Füßen etwas tat. Es fühlte sich an, als würde der enge Schacht langsam von einer Flüssigkeit überflutet.

»Lauf doch«, schrie er Althea an. »Lauf doch! Aber beklage dich nicht, wenn du in einem solchen Loch verschwindest und keine Hilfe findest.«

Dieses Argument traf ins Ziel. Das Mädchen biß sich auf die Lippen, dachte kurz nach und steckte schließlich ihre Waffe weg. Sorgfältig prüfte sie die Tragfähigkeit des Bodens, während sie sich Mervet näherte. Die Flüssigkeit umspülte inzwischen Mervets Knie.

Mervet griff nach Altheas Hand. Das Mädchen war erstaunlich kräftig, sie zerrte Mervet langsam in die Höhe. Der unsichtbare Gegner reagierte sofort. Mervet fühlte, wie die Flüssigkeit dicker zu werden begann. Wenn er den Schacht nicht bald verließ, würde er in einem zähen Gelee stecken, aus dem es vermutlich kein Entrinnen mehr gab. Mervets rechter Arm wurde frei. So schnell er konnte, stützte sich Mervet auf beide Arme und stemmte sich in die Höhe. Althea stand hinter ihm und zog ihn an den Schultern hoch. Gleichzeitig stieg die Zähigkeit der sich immer mehr verfestigenden Flüssigkeit an. Es war ein verzweifelter Wettkampf mit der Zeit.

Zentimeter um Zentimeter kam Mervet frei, aber das Gewicht, das an seinen Beinen zerrte, wurde immer größer.

Mervet seufzte erleichtert auf, als er endlich wieder seine Beine bewegen konnte. Mit einem widerlichen Schmatzen lösten sich seine Füße aus dem gefährlichen Gelee, dann zog er sich dank Altheas Hilfe rasch in die Höhe. Gierig schnappte er nach Luft. Der stumme, hartnäckige Kampf hatte viel Kraft gekostet.

»Danke«, keuchte Mervet. »Ich werde mich bei passender Gelegenheit revanchieren!«

Als sich sein Blick langsam klärte, wurde Mervet bewußt, daß diese Gelegenheit nicht lange auf sich warten lassen würde.

 

 

*

 

Die Lichtung im Wald mochte eine Fläche von etwas über einhundert Quadratmetern haben, teils lag der steinige Boden frei, teils wurde er von Gras und Moos bedeckt. Umgeben wurde die Lichtung von zahlreichen hohen Bäumen.

Etwas hatte sich verändert seit dem Augenblick, da Mervet und Althea die Lichtung betreten hatte. Damals – es kam Mervet vor, als seien Tage seither vergangen – gab es große Zwischenräume zwischen den einzelnen Bäumen, breit genug, um mehrere Menschen durchzulassen. Diese Zwischenräume waren verschwunden. Außerdem hatten die Bäume beträchtlich an Höhe verloren.

Mervet und Althea sahen sich einem immer dichter werdenden Gürtel aus Pflanzen gegenüber. Man konnte deutlich sehen, wie sich die Ranken entwickelten, sich mit den Ranken der benachbarten Bäume verfilzten und förmlich zusammenwuchsen. Obendrein entwickelten sich mit beängstigender Geschwindigkeit zahlreiche Dornen an den Ranken. Die Spitzen waren handtellerlang und glänzten feucht.

»Es hat sich bezahlt gemacht, daß du mir geholfen hast«, murmelte Mervet. »Jetzt sitzen wir beide in der Falle.«

Er sah in das Loch hinunter, aus dem er gerade erst entkommen war. Von der merkwürdigen Flüssigkeit war nichts mehr zu sehen, aber auf dem Boden des Loches entdeckte Mervet einen metallisch glänzenden Gegenstand. Mervet brauchte nur einen flüchtigen Blick, um zu erkennen, daß es sich um ein militärisches Abzeichen handelte, allerdings war dieses Abzeichen schon vor langer Zeit abgeschafft worden. Die Person, die es getragen hatte, war offenbar nicht fähig gewesen, sich aus der tödlichen Falle zu befreien – nur das Abzeichen war übriggeblieben.

Mervet begann zu kombinieren.

Die Umgebung der Stadt war lange Zeit hindurch mit harter Strahlung überflutet worden, Mutationen hatten sich herausgebildet, und offenbar war es dabei zu Lebensformen gekommen, die jedes Vorstellungsmaß überstiegen.

»Die beiden sind befreundet«, stellte Mervet erbittert fest. Althea sah ihn fragend an.

»Wenn es dieser klebrigen Substanz nicht sofort gelingt, eine Beute zu machen, tritt der Partner dieser Symbiose in Aktion.«

Mervet deutete auf das Dickicht. Rasch überschlug er die Abmessungen. Er kam zu dem Ergebnis, daß er und Althea vor der Aufgabe standen, ein fast zehn Meter dickes, dornengespicktes Dickicht zu durchdringen. Wenn seine Vermutung zutraf, daß es sich bei dem feuchtglänzenden Stoff auf den Dornen um Gift handelte, wurde dieses Hindernis nahezu unüberwindlich.

»Wir müssen uns etwas einfallen lassen«, erklärte Althea. »Und das möglichst bald. Wir haben nicht viel Zeit.«

Die Falle, in der die beiden Akonen steckten, war von satanischer Perfektion. Mit jedem Augenblick, der verging, verdichtete sich der Wall aus Ranken und Dornen, der Mervet und Althea eingekreist hatte. Der Durchmesser verringerte sich, dafür wuchs die Dichte.

»Wir müssen durchbrechen«, rief Mervet und zog seine Waffe. »Wir schießen eine Gasse durch den Wall, vielleicht kommen wir durch.«

Sekunden später schlugen die ersten Schüsse in dem Dickicht ein. Rauch wallte auf, brennende Ranken wurden durch die Luft gewirbelt, und in das Geräusch der unablässig feuernden Handwaffen mischte sich das anschwellende Knistern ausbrechender Brände.

»Wir haben Glück«, rief Althea. »Das Zeug geht relativ leicht in Flammen auf.«

Mervet nickte, obwohl er schnell erkannt hatte, daß sich diese Tatsache keineswegs positiv für die beiden Bedrängten auswirken konnte. Mervet hatte damit gerechnet, daß das Dornengeflecht soviel Zellsäfte enthielt, daß es nur an der Einschlagstelle Feuer fing. Wenn aber, was sich abzuzeichnen begann, das ganze Dickicht in Flammen stand, würde den Eingekreisten rasch der Sauerstoff ausgehen. Jetzt schon machte es sich bemerkbar, daß die immer höher steigenden Flammen riesige Mengen Sauerstoff verbrauchten.

»Wenigstens nicht bei lebendigem Leibe verdaut«, murmelte Mervet. Er ließ seine Waffe sinken. Es war nicht länger nötig, auf das Dickicht zu schießen. Was brennbar war, brannte bereits.

»Sollen wir ausbreche...

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