Bernhard Thomas - Die Ursache - Eine Andeutung.pdf

(293 KB) Pobierz
Thomas Bernhard - Die Ursache _dt_.doc
Thomas Bernhard
Die Ursache
Eine Andeutung
scanned by Kadava
c&layout by AnyBody
"Die Ursachen" waren zerstörend und verbrecherisch - sie hinterließen
unauslöschliche Spuren. Das Internat: ein raffiniert gegen den Geist
gebauter Kerker, eine Schule der Spekulation mit dem Selbstmord. Die
Stadt: eine Todeskrankheit, ein auf der Oberfläche schöner, aber unter
dieser Oberfläche fürchterlicher Friedhof der Phantasie und der Wünsche.
Der Krieg: die Stollen, in denen Hunderte erstickt oder aus Angst
umgekommen sind. Der Großvater: der nur von allem Großen sprach, von
Mozart, Rembrandt, Beethoven. - Alle diese teils subjektiv, teils objektiv
unerträglichen Belastungen haben den Autor dieses autobiographischen
Rechenschaftsberichtes selbst zum Prototyp seiner literarischen Figuren
gemacht: eine zu Tode gedemütigte Natur, ohne Hoffnung, voller Angst und
Verzweiflung.
ISBN: 3423012994
Taschenbuch - 144 Seiten - DTV, Mchn.
248234231.001.png 248234231.002.png
Thomas Bernhard, geboren am 9. Februar 1931, lebte in
Ohlsdorf, Oberösterreich. 1951-54 Studium an der Akademie
für Musik und darstellende Kunst in Salzburg und an der
Hochschule für Musik in Wien. Seit 1957 freier Schriftsteller. Er
starb am 12. Februar 1989 in Gmunden.
Der Text entspricht der im Beschluß des Landgerichts Salzburg
vom 25. 5. 1977 festgelegten Fassung. Die Streichungen sind
durch * gekennzeichnet.
Zweitausend Menschen pro Jahr versuchen im Bundesland
Salzburg ihrem Leben selbst ein Ende zu machen, ein Zehntel
dieser Selbstmordversuche endet tödlich. Damit hält Salzburg
in Österreich, das mit Ungarn und Schweden die höchste
Selbstmordrate aufweist, österreichischen Rekord.
>Salzburger Nachrichten< am 6. Mai 1975
- 3 -
Grünkranz
Die Stadt ist, von zwei Menschenkategorien bevölkert, von
Geschäftemachern und ihren Opfern, dem Lernenden und
Studierenden nur auf die schmerzhafte, eine jede Natur
störende, mit der Zeit verstörende und zerstörende, sehr oft nur
auf die heimtückisch-tödliche Weise bewohnbar. Die extremen,
den in ihr lebenden Menschen fortwährend irritierenden und
enervierenden und in jedem Falle immer krankmachenden
Wetterverhältnisse einerseits und die in diesen
Wetterverhältnissen sich immer verheerender auf die
Verfassung dieser Menschen auswirkende Salzburger
Architektur andererseits, das allen diesen Erbarmungswürdigen
bewußt oder unbewußt, aber im medizinischen Sinne immer
schädliche, folgerichtig auf Kopf und Körper und auf das ganze
diesen Naturverhältnissen ja vollkommen ausgelieferte Wesen
drückende, mit unglaublicher Rücksichtslosigkeit immer wieder
solche irritierende und enervierende und krankmachende und
erniedrigende und beleidigende und mit großer Gemeinheit und
Niederträchtigkeit begabte Einwohner produzierende
Voralpenklima erzeugen immer wieder solche geborene oder
hereingezogene Salzburger, die zwischen den, von dem
Lernenden und Studierenden, der ich vor dreißig Jahren in
dieser Stadt gewesen bin, aus Vorliebe geliebten, aber aus
Erfahrung gehaßten kalten und nassen Mauern ihren bornierten
Eigensinnigkeiten, Unsinnigkeiten, Stumpfsinnigkeiten, brutalen
Geschäften und Melancholien nachgehen und eine
unerschöpfliche Einnahmequelle für alle möglichen und
unmöglichen Ärzte und Leichenbestattungsunternehmer sind.
Der in dieser Stadt nach dem Wunsche seiner
Erziehungsberechtigten, aber gegen seinen eigenen Willen
Aufgewachsene und von frühester Kindheit an mit der größten
Gefühlsund Verstandesbereitschaft für diese Stadt einerseits in
den Schauprozeß ihrer Weltberühmtheit wie in eine perverse
Geld- und Widergeld produzierende Schönheits- als
Verlogenheitsmaschine, andererseits in die Mittel- und
- 4 -
Hilflosigkeit seiner von allen Seiten ungeschützten Kindheit und
Jugend wie in eine Angst- und Schreckensfestung
Eingeschlossene, zu dieser Stadt als zu seiner Charakter- und
Geistesentwicklungsstadt Verurteilte, hat eine, weder zu grob,
noch zu leichtfertig ausgesprochen, mehr traurige und mehr
seine früheste und frühe Entwicklung verdüsternde und
verfinsternde, in jedem Falle aber verhängnisvolle, für seine
ganze Existenz zunehmend entscheidende, furchtbare
Erinnerung an die Stadt und an die Existenzumstände in dieser
Stadt, keine andere. Verleumdung, Lüge, Heuchelei entgegen,
muß er sich während der Niederschrift dieser Andeutung
sagen, daß diese Stadt, die sein ganzes Wesen durchsetzt und
seinen Verstand bestimmt hat, ihm immer und vor allem in
Kindheit und Jugend, in der zwei Jahrzehnte in ihr
durchexistierten und durchexerzierten Verzweiflungs- als
Reifezeit, eine mehr den Geist und das Gemüt verletzende, ja
immer nur Geist und Gemüt mißhandelnde gewesen ist, eine
ihn ununterbrochen direkt oder indirekt für nicht begangene
Vergehen und Verbrechen strafende und bestrafende und die
Empfindsamkeit und Empfindlichkeit, gleich welcher Natur, in
ihm niederschlagende, nicht die seinen Schöpfungsgaben
förderliche. Er hat in dieser Studierzeit, die zweifellos seine
entsetzlichste Zeit gewesen ist, und von dieser seiner
Studierzeit und den Empfindungen, die er in dieser Studierzeit
gehabt hat, ist hier die Rede, für den Rest seines Lebens einen
hohen Preis und wahrscheinlich die Höchstsumme zahlen
müssen. Diese Stadt hat die ihm von seinen Vorfahren
überkommene Zuneigung und Liebe als Vorauszuneigung und
Vorausliebe seinerseits nicht verdient und ihn immer und zu
allen Zeiten und in allen Fällen bis zum heutigen Tage
zurückgewiesen, abgestoßen, ihn jedenfalls vor den
schutzlosen Kopf gestoßen. Hätte ich nicht diese letzten Endes
den schöpferischen Menschen von jeher verletzende und
verhetzende und am Ende immer vernichtende Stadt, die mir
durch meine Eltern gleichzeitig Mutter- und Vaterstadt ist, von
einem Augenblick auf den ändern, und zwar in dem
entscheidenden lebensrettenden Augenblick der äußersten
Nervenanspannung und größtmöglichen Geistesverletzung
- 5 -
Zgłoś jeśli naruszono regulamin