Martin Heidegger - Spiegelinterview 1966.pdf

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Bereits 1966 erklärte sich der Philosoph Martin Heidegger bereit, im SPIEGEL-Gespräch mit Rudolf
Augstein und Georg Wolff Fragen nach seiner Rolle während der Nazi-Zeit zu beantworten. Der
SPIEGEL respektierte Heideggers Bedingung, dieses Dokument erst nach seinem Tod zu drucken,
und veröffentlichte das Gespräch deshalb erst 1976. Auszüge:
SPIEGEL: Herr Professor Heidegger, in Ihrer Antrittsrede als Rektor der Freiburger Universität 1933
sprachen Sie - vier Monate nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler - von der "Größe und
Herrlichkeit dieses Aufbruchs".
Heidegger: Ja, ich war auch davon überzeugt.
SPIEGEL: Könnten Sie das etwas erläutern?
Heidegger: Gern. Ich sah damals keine andere Alternative. Bei der allgemeinen Verwirrung der
Meinungen und der politischen Tendenzen von 22 Parteien galt es, zu einer nationalen und vor allem
sozialen Einstellung zu finden, etwa im Sinne des Versuchs von Friedrich Naumann.
SPIEGEL: Wann begannen Sie, sich mit den politischen Verhältnissen zu befassen? Die 22 Parteien
waren ja schon lange da. Millionen von Arbeitslosen gab es auch schon 1930.
Heidegger: In dieser Zeit war ich noch ganz von den Fragen beansprucht, die in "Sein und Zeit" (1927)
und in den Schriften und Vorträgen der folgenden Jahre entwickelt sind, Grundfragen des Denkens,
die unmittelbar auch die nationalen und sozialen Fragen betreffen. Unmittelbar stand für mich als
Lehrer an der Universität die Frage nach dem Sinn der Wissenschaften im Blick und damit die
Bestimmung der Aufgabe der Universität. Diese Bemühung ist im Titel meiner Rektoratsrede
ausgesprochen: "Die Selbstbehauptung der deutschen Universität". Ein solcher Titel ist in keiner
Rektoratsrede der damaligen Zeit gewagt worden. Aber wer von denen, die gegen diese Rede
polemisieren, hat sie gründlich gelesen, durchdacht und aus der damaligen Situation heraus
interpretiert?
SPIEGEL: Selbstbehauptung der Universität, in einer solchen turbulenten Welt, wirkt das nicht ein
bisschen unangemessen?
Heidegger: Wieso? "Die Selbstbehauptung der Universität", das geht gegen die damals schon in der
Partei und von der nationalsozialistischen Studentenschaft geforderte so genannte Politische
Wissenschaft. Dieser Titel hatte damals einen ganz anderen Sinn; er bedeutete nicht Politologie wie
heute, sondern besagte: Die Wissenschaft als solche, ihr Sinn und Wert, wird abgeschätzt nach dem
faktischen Nutzen für das Volk. Die Gegenstellung zu dieser Politisierung der Wissenschaft wird in der
Rektoratsrede angesprochen.
SPIEGEL: Indem Sie die Universität in das, was Sie damals als einen Aufbruch empfanden, mit
hineinnahmen, wollten Sie die Universität behaupten gegen sonst vielleicht übermächtige
Strömungen,die der Universität ihre Eigenart nicht mehr gelassen hätten?
Heidegger: Gewiss, aber die Selbstbehauptung sollte sich zugleich die Aufgabe stellen, gegenüber
der technischen Organisation der Universität einen neuen Sinn zurückzugewinnen aus der Besinnung
auf die Überlieferung des abendländisch-europäischen Denkens.
SPIEGEL: Herr Professor, sollen wir das so verstehen, dass Sie damals meinten, eine Gesundung der
Universität mit den Nationalsozialisten zusammen erreichen zu können?
Heidegger: Das ist falsch ausgedrückt. Nicht mit den Nationalsozialisten zusammen, sondern die
Universität sollte aus eigener Besinnung sich erneuern und dadurch eine feste Position gegenüber der
Gefahr der Politisierung der Wissenschaft gewinnen - in dem vorhin angegebenen Sinne.
SPIEGEL: Und deswegen haben Sie in Ihrer Rektoratsrede diese drei Säulen proklamiert:
"Arbeitsdienst", "Wehrdienst", "Wissensdienst". Dadurch sollte, so meinten Sie demnach, der
"Wissensdienst" in eine gleichrangige Position gehoben werden, die ihm die Nationalsozialisten nicht
konzediert hatten?
Heidegger: Von "Säulen" ist nicht die Rede. Wenn Sie aufmerksam lesen: Der Wissensdienst steht
zwar in der Aufzählung an dritter Stelle, aber dem Sinne nach ist er an die erste gesetzt. Zu bedenken
bleibt, dass Arbeit und Wehr wie jedes menschliche Tun auf ein Wissen gegründet und von ihm erhellt
werden.
SPIEGEL: Sie sagten im Herbst 1933: "Nicht Lehrsätze und Ideen seien die Regeln eures Seins. Der
Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz."
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möglich ist. Sie haben sich nach 1945 zu den politischen Bestrebungen der westlichen Welt geäußert
und dabei auch von der Demokratie gesprochen, von der politisch ausgedrückten christlichen
Weltanschauung und auch von der Rechtsstaatlichkeit - und Sie nannten alle diese Bestrebungen
"Halbheiten".
Heidegger: Als Halbheiten würde ich sie auch bezeichnen, weil ich darin keine wirkliche
Auseinandersetzung mit der technischen Welt sehe, weil dahinter immer noch, nach meiner Ansicht,
die Auffassung steht, dass die Technik in ihrem Wesen etwas sei, was der Mensch in der Hand hat.
Das ist nach meiner Meinung nicht möglich. Die Technik in ihrem Wesen ist etwas, was der Mensch
von sich aus nicht bewältigt.
SPIEGEL: Sie sehen, so haben Sie es ausgedrückt, eine Weltbewegung, die den absoluten
technischen Staat entweder heraufführt oder schon heraufgeführt hat?
Heidegger: Ja!
SPIEGEL: Kann überhaupt der Einzelmensch dieses Geflecht von Zwangsläufigkeiten noch
beeinflussen? Oder aber kann die Philosophie es beeinflussen, oder beide zusammen, indem die
Philosophie den Einzelnen oder mehrere Einzelne zu einer bestimmten Aktion führt?
Heidegger: Die Philosophie wird keine unmittelbare Veränderung des jetzigen Weltzustandes
bewirken können. Dies gilt nicht nur von der Philosophie, sondern von allem bloß menschlichen
Sinnen un Trachten. Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die einzige Möglichkeit, im Denken
und im Dichten eine Bereitschaft vorzubereiten für die Erscheinung des Gottes oder für die
Abwesenheit des Gottes im Untergang; dass wir im Angesicht des abwesenden Gottes untergehen.
SPIEGEL: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrem Denken und der Heraufkunft dieses Gottes?
Meinen Sie, dass wir den Gott herbeidenken können?
Heidegger: Wir können ihn nicht herbeidenken, wir vermögen höchstens die Bereitschaft der
Erwartung zu wecken.
SPIEGEL: Aber können wir helfen?
Heidegger: Die Bereitung der Bereitschaft dürfte die erste Hilfe sein. Die Welt kann nicht durch den
Menschen, aber auch nicht ohne den Menschen sein, was sie und wie sie ist. Das hängt nach meiner
Ansicht damit zusammen, dass das, was ich mit einem langher überlieferten, vieldeutigen und jetzt
abgegriffenen Wort "das Sein" nenne, den Menschen braucht zu seiner Offenbarung, Wahrung und
Gestaltung. Das Wesen der Technik sehe ich in dem, was ich das Ge-Stell nenne, ein oft verlachter
und vielleicht ungeschickter Ausdruck. Das Walten des Ge-Stells besagt: Der Mensch ist geteilt,
beansprucht und herausgefordert von einer Macht, die im Wesen der Technik offenbar wird und die er
selbst nicht beherrscht. Zu dieser Einsicht zu verhelfen: mehr verlangt das Denken nicht. Die
Philosophie ist am Ende.
SPIEGEL: Und wer nimmt den Platz der Philosophie jetzt ein?
Heidegger: Die Kybernetik.
SPIEGEL: Oder der Fromme, der sich offen hält?
Heidegger: Das ist aber keine Philosophie mehr.
SPIEGEL: Was ist es dann?
Heidegger: Das andere Denken nenne ich es.
SPIEGEL: Sie haben gesagt, diese neue Methode des Denkens sei "zunächst nur für wenige
Menschen vollziehbar". Wollten Sie damit ausdrücken, dass nur ganz wenige Leute die Einsichten
haben können, die nach Ihrer Ansicht möglich und nötig sind?
Heidegger: "Haben" in dem ganz ursprünglichen Sinne, dass sie sie gewissermaßen sagen können.
SPIEGEL: Die Transmission zur Verwirklichung ist auch von Ihnen nicht sichtbar dargestellt worden.
Heidegger: Das kann ich auch nicht sichtbar machen. Ich weiß darüber nichts, wie dieses Denken
"wirkt". Es kann auch sein, dass der Weg eines Denkens heute dazu führt, zu schweigen, um das
Denken davor zu bewahren, dass es verramscht wird innerhalb eines Jahres. Es kann auch sein, dass
es 300 Jahrebraucht, um zu "wirken".
SPIEGEL: Da wir nicht in 300 Jahren, sondern hier und jetzt leben, ist uns das Schweigen versagt.
Wir, Politiker, Halbpolitiker, Staatsbürger, Journalisten et cetera, wir müssen unablässig irgendeine
Entscheidung treffen. Mit dem System, unter dem wir leben, müssen wir uns einrichten, müssen
suchen, es zu ändern, müssen das schmale Tor zu einer Reform, das noch schmalere einer
Revolution ausspähen. Hilfe erwarten wir vom Philosophen, Hilfe auf Umwegen. Und da hören wir
nun: Ich kann euch nicht helfen.
Heidegger: Kann ich auch nicht.
SPIEGEL: Das muss den Nicht-Philosophen entmutigen.
Heidegger: Kann ich nicht, weil die Fragen so schwer sind, dass es wider den Sinn dieser Aufgabe
des Denkens wäre, gleichsam öffentlich aufzutreten, zu predigen und moralische Zensuren zu
erteilen. Vielleicht darf der Satz gewagt werden: Dem Geheimnis der planetarischen Übermacht des
ungedachten Wesens der Technik entspricht die Vorläufigkeit und Unscheinbarkeit des Denkens, das
versucht, diesem Ungedachten nachzudenken.
SPIEGEL: Sie zählen sich nicht zu denen, die, wenn sie nur gehört würden, einen Weg weisen
könnten?
Heidegger: Nein! Ich weiß keinen Weg zur unmittelbaren Veränderung des gegenwärtigen
Weltzustandes, gesetzt, eine solche sei überhaupt menschenmöglich. Aber mir scheint, das versuchte
Denken könnte die schon genannte Bereitschaft wecken, klären und festigen.
SPIEGEL: Kann und darf ein Denker sagen: Wartet nur, innerhalb von 300 Jahren wird uns wohl
etwas einfallen?
Heidegger: Es handelt sich nicht darum, nur zu warten, bis dem Menschen nach 300 Jahren etwas
einfällt, sondern darum, aus den kaum gedachten Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters in die
kommende Zeit ohne prophetische Ansprüche vorzudenken. Denken ist nicht Untätigkeit, sondern
selbst in sich das Handeln, das in der Zwiesprache steht mit dem Weltgeschick.
SPIEGEL: Kommen wir zu unserem Anfang zurück. Wäre es nicht denkbar, den Nationalsozialismus
einerseits als Verwirklichung jener "planetarischen Begegung", andererseits als den letzten,
schlimmsten, stärksten und zugleich ohnmächtigsten Protest gegen diese Begegnung der
"planetarisch bestimmten Technik" und des neuzeitlichen Menschen anzusehen? Offenbar tragen Sie
in Ihrer Person einen Gegensatz aus, so dass viele Beiprodukte Ihrer Tätigkeit eigentlich nur dadurch
zu erklären sind, dass Sie sich mit verschiedenen Teilen Ihres Wesens, die nicht den philosophischen
Kern betreffen, an vielen Dingen festklammern, von denen Sie als Philosoph wissen, dass sie keinen
Bestand haben - etwa an Begriffen wie "Heimat", "Verwurzelung" oder dergleichen. Wie passt das
zusammen: planetarische Technik und Heimat?
Heidegger: Das würde ich nicht sagen. Mir scheint, Sie nehmen die Technik doch zu absolut. Ich sehe
die Lage des Menschen in der Welt der planetarischen Technik nicht als ein unentwirrbares und
unentrinnbares Verhängnis, sondern ich sehe gerade die Aufgabe des Denkens darin, in seinen
Grenzen mitzuhelfen, dass der Mensch überhaupt erst ein zureichendes Verhältnis zum Wesen der
Technik erlangt. Der Nationalsozialismus ist zwar in die Richtung gegangen; diese Leute aber waren
viel zu unbedarft im Denken, um ein wirklich explizites Verhältnis zu dem zu gewinnen, was heute
geschieht und seit drei Jahrhunderten unterwegs ist.
SPIEGEL: Wir haben im Moment eine Krise des demokratisch-parlamentarischen Systems. Können
nicht doch von Seiten der Denker, quasi als Beiprodukt, Hinweise darauf kommen, dass entweder
dieses System durch ein neues ersetzt werden muss oder dass Reform möglich sein müsse? Sollte
nicht doch der Philosoph bereit sein, sich Gedanken zu machen, wie die Menschen ihr Miteinander in
dieser von ihnen selbst technisierten Welt, die sie vielleicht übermächtigt hat, einrichten können?
Erwartet man nicht doch zu Recht vom Philosophen, dass er Hinweise gibt, wie er sich eine
Lebensmöglichkeit vorstellt, und verfehlt nicht der Philosoph einen Teil seines Berufs und seiner
Berufung, wenn er dazu nichts mitteilt?
Heidegger: Soweit ich sehe, ist ein Einzelner vom Denken her nicht im Stande, die Welt im Ganzen so
zu durchschauen, dass er praktische Anweisungen geben könnte, und dies gar noch angesichts der
Aufgabe, erst wieder eine Basis für das Denken selbst zu finden. Das Denken ist, solange es sich
selber ernst nimmt angesichts der großen Überlieferung, überfordert, wenn es sich anschicken soll,
hier Anweisungen zu geben. Aus welcher Befugnis könnte dies geschehen? Im Bereich des Denkens
gibt es keine autoritativen Aussagen. Die einzige Maßgabe für das Denken kommt aus der zu
denkenden Sache selbst. Diese aber ist das vor allem anderen Fragwürdige. Um diesen Sachverhalt
einsichtig zu machen bedürfte es vor allem einer Erörterung des Verhältnisses zwischen der
Philosophie und den Wissenschaften, deren technisch-praktische Erfolge ein Denken im Sinne des
philosophischen heute mehr und mehr als überflüssig erscheinen lassen. Der schwierigen Lage, in die
das Denken selbst hinsichtlich seiner eigenen Aufgabe versetzt ist, entspricht daher eine gerade
durch die Machtstellung der Wissenschaften genährte Befremdung gegenüber dem Denken, das sich
eine für den Tag geforderte Beantwortung praktisch-weltanschaulicher Fragen versagen muss.
SPIEGEL: Herr Professor, im Bereich des Denkens gibt es keine autoritativen Aussagen. So kann es
nicht überraschen, dass es auch die moderne Kunst schwer hat, autoritative Aussagen zu machen.
Gleichwohl nennen Sie sie "destruktiv". Die moderne Kunst versteht sich oft als experimentelle Kunst.
Ihre Werke sind Versuche...
Heidegger: Ich lasse mich gern belehren.
SPIEGEL: ... Versuche aus einer Situation der Vereinzelung des Menschen und des Künstlers heraus,
und unter 100 Versuchen findet sich hin und wieder einmal ein Treffer.
Heidegger: Das ist eben die große Frage: Wo steht die Kunst? Welchen Ort hat sie?
SPIEGEL: Gut, aber da verlangen Sie etwas von der Kunst, was Sie vom Denken ja auch nicht mehr
verlangen.
Heideger: Ich verlange nichts von der Kunst. Ich sage nur, es ist eine Frage, welchen Ort die Kunst
einnimmt.
SPIEGEL: Wenn die Kunst ihren Ort nicht kennt, ist sie deshalb destruktiv?
Heidegger: Gut, streichen Sie es. Ich möchte aber feststellen, dass ich das Wegweisende der
modernen Kunst nicht sehe, zumal dunkel bleibt, worin sich das Eigenste der Kunst erblickt oder
wenigstens sucht.
SPIEGEL: Auch dem Künstler fehlt die Verbindlichkeit dessen, was tradiert worden ist. Er kann es
schön finden, und er kann sagen: Ja, so hätte man vor 600 Jahren malen mögen oder vor 300 oder
noch vor 30. Aber er kann es ja nun nicht mehr. Selbst wenn er es wollte, er könnte es nicht. Der
größte Künstler wäre dann der geniale Fälscher Hans van Meegeren, der dann "besser" malen könnte
als die anderen. Aber es geht eben nicht mehr. So ist also der Künstler, Schriftsteller, Dichter in einer
ähnlichen Situation wie der Denker. Wie oft müssen wir doch sagen: Mach die Augen zu.
Heidegger: Nimmt man als Rahmen für die Zuordnung von Kunst und Dichtung und Philosophie den
"Kulturbetrieb", dann besteht die Gleichstellung zu Recht. Wird aber nicht nur der Betrieb fragwürdig,
sondern auch das, was "Kultur" heißt, dann fällt auch die Besinnung auf dieses Fragwürdige in den
Aufgabenbereich des Denkens, dessen Notlage kaum auszudenken ist. Aber die größte Not des
Denkens besteht darin, dass heute, soweit ich sehen kann, noch kein Denkender spricht, der "groß"
genug wäre, das Denken unmittelbar und in geprägter Gestalt vor seine Sache und damit auf seinen
Weg zu bringen. Für uns Heutige ist das Große des zu Denkenden zu groß. Wir können uns vielleicht
daran abmühen, an schmalen und wenig weit reichenden Stegen eines Überganges zu bauen.
SPIEGEL: Herr Professor Heidegger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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