Dämonenland 023 - Wolfgang Hohlbein - Lovecrafts Reise ins Grauen.pdf

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Wolfgang Hohlbein
Lovecrafts
Reise ins Grauen
In diesen Tagen jährt sich zum 100sten Male der Geburtstag von Ho-
ward Phillips Lovecraft.
Ein Datum, das Aufmerksamkeit verdient.
Denn H. P. Lovecraft war einer der Urväter der Phantastischen Litera-
tur, einer der Männer, denen wir das Grusel-Genre zu verdanken haben.
Um ihn zu ehren, haben wir uns für dieses DÄMONEN-LAND etwas ganz
Besonderes ausgedacht: einen Roman, in dem er selbst die Hauptrolle
spielt! Und der – wenn auch natürlich fiktiv – einige Geheimnisse um sein
Leben und Sterben enthüllt.
Geschrieben wurde dieser Band von Wolfgang Hohlbein, der sich als
Autor intensiv mit Lovecrafts Werk beschäftigt hat und schon mit seiner
HEXER-Serie in die dunklen Gefilde des Cthulhu-Mythos und des Necro-
nomicon eintauchte.
Und wer nach der Lektüre des Romans mehr wissen will über H. P.
Lovecraft, der findet am Ende des Heftes ein Essay über den Altmeister.
Happy Birthday, H. P.!
Ihr DÄMONEN-LAND-Redakteur
Dieser Roman ist eine Erstausgabe!
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Spätestens seit der vergangenen Nacht wußte er, daß alles
wahr war. Lange vor Morgengrauen war er erwacht, mit klop-
fendem Herzen, in Schweiß gebadet, mit schmerzender Kehle
und dem Echo seiner eigenen Schreie in den Ohren, das Bett-
laken so zerwühlt und naß wie es jetzt jeden Morgen war, das
Zimmer erfüllt vom gelben Licht der Petroleumlampe, die er
jetzt die ganze Nacht über brennen ließ, und seine Seele erfüllt
von den Schatten, die er aus dem Reich der Träume und des
Irrsinns mitgebracht hatte.
Er wußte nicht mehr, wie lange er diese Träume schon hatte –
es mußten Monate sein ... Sein Empfinden für die Zeit war
durcheinandergeraten, seit es begonnen hatte. Und nicht nur
das. Manchmal hatte er Mühe, Realität und Fiktion auseinan-
derzuhalten, als schienen die Alpträume zu gräßlicher Wirk-
lichkeit zu werden. Vielleicht verlor er den Verstand. Vielleicht
hatte er ihn bereits verloren.
Unten im Haus waren Geräusche: das gedämpfte Zuschlagen
einer Tür, die leisen Schritte seiner Tante, die unruhig am Fuß
der Treppe auf- und abging und darauf wartete, daß die
Schreie und die unheimlichen Laute aus seinem Zimmer wieder
begannen, um vielleicht hinaufzukommen. Aber in letzter Zeit
tat sie das seltener. Sie sprach auch immer weniger über dieses
Thema in seiner Gegenwart; ja, sie versuchte sogar, so zu tun,
als wäre alles in bester Ordnung. Aber die besorgten traurigen
Blicke, mit denen sie ihn machmal musterte – meist, wenn sie
glaubte, er merkte es nicht –, und ihre fahrigen Bewegungen
und die Angst in ihrer Stimme straften ihr Benehmen Lüge.
Sie wußte, daß er krank war.
Krank!
Wäre es nur das gewesen! dachte er schaudernd. Wäre es ein
Fieber, eine Krankheit, ja selbst eine Geistesverwirrung – er
hätte alles darum gegeben, sich einreden zu können, daß es al-
lein das war.
Aber das war es nicht.
Langsam trat er ans Fenster und blickte in die Nacht hinein.
Die Luft im Zimmer war warm und schlecht, aber er wagte es
nicht, das Fenster zu öffnen, solange draußen noch Dunkelheit
herrschte. Die Dunkelheit war ihr Verbündeter. Das Versteck
all der namenlosen Schrecken, die ihn in seinen Träumen plag-
ten. So blieb er reglos stehen, starrte in die Nacht hinaus und
betrachtete das bleiche Spiegelbild seines eigenen Gesichtes
auf dem Glas.
Es war ein Bild, das ihn erschreckte. Er war niemals ein kräf-
tiger Mann gewesen, aber jetzt war sein Gesicht ausgezehrt
und fahl, die Haut bleich, ein Gespenst, nicht nur in der far-
benfressenden Reflexion der Fensterscheibe. Unter den Augen
lagen dunkle Ringe, und auch seine Bewegungen waren fahrig
und schwach geworden. Die Träume zehrten an seinen Kräften,
brannten ihn allmählich aus wie ein tödliches Fieber.
Träume ...
Es waren keine Träume. Nicht nur.
Noch bis zum vergangenen Abend hatte er das geglaubt und
wie hätte er auch irgend etwas anderes als eben dies annehmen
können angesichts der Bilder kriechenden Wahnsinns, mit de-
nen der Schlaf ihn heimsuchte?
Angesichts der unbeschreibbaren Scheußlichkeit, die er sah,
wenn er die Augen schloß?
Und auch in dieser Nacht hatte er wieder einen jenen entsetz-
lichen Nachtmare gehabt, aus denen er schreiend und
schweißgebadet hochgefahren war, am ganzen Körper zitternd
und mit rasendem Herzen, als wäre er wirklich geflohen, Stun-
de um Stunde gerannt, um dem Entsetzlichen zu entkommen,
daß sich immer ein winziges Stückchen schneller bewegte als
er, ganz gleich, wie schnell er lief.
Aber etwas war anders gewesen als in den Nächten zuvor.
Etwas, das ihm bewies, daß es mehr sein mußte als ein
Traum. Langsam, mit klopfendem Herzen und Bewegungen, die
all seine Überwindung und auch seine Körperkraft kosteten,
wandte er sich um und blickte auf sein Bett herab.
Sein Bett und das, was darauf lag.
Ja, dachte er noch einmal, diesmal war das Erwachen anders
gewesen als sonst. Diesmal konnte er sich nicht einreden, daß
es nur ein Traum gewesen war.
Denn diesmal hatte er etwas mitgebracht.
Dabei hatte es ganz anders als die meisten dieser Geschichten
(übrigens auch als die meisten der, die er selbst schrieb) nicht
schleichend und harmlos angefangen, sondern mit einer aufs
Höchste beunruhigenden Episode. Genauer gesagt: mit zwei
Vorfällen, die in unmittelbarem Bezug zueinander standen, und
wie sich später herausstellen sollte, auch gleichzeitig gescha-
hen, ohne daß er diesen Bezug oder gar die Zeitgleichheit indes
damals schon hatte erkennen können. Geschweige denn, welch
perfider Plan hinter den Vorkommnissen dieses und der darauf-
folgenden Tage und Wochen stand. Dabei hätte er heute nicht
einmal sagen können, wie viele Tage oder Wochen seither ver-
gangen waren. Er interessierte sich wenig für das System, nach
dem der Rest der Menschheit die Zeit maß, sondern lebte ge-
wissermaßen in seiner eigenen Zeit, so wie er sich auch eine
eigene Welt im Haus seiner Tante geschaffen hatte. Was ihn
nicht daran hinderte, täglich aufmerksam die Zeitungen zu stu-
dieren (er hatte gleich mehrere davon abonniert), immer auf der
Suche nach Neuigkeiten, nach Wissenswertem; nicht nach den
großen Ereignissen der Weltgeschichte. Die interessierten ihn
wenig oder gar nicht. Er war schon vor langer Zeit zu dem
Schluß gekommen, daß die Menschheit so oder so dem Unter-
 
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